Schämt euch!

Frau weiss ja gar nicht, in welche saure Gurke (Gurke!) sie in diesem Sommerloch (äh, Loch … hihi) beissen soll. Mir jedenfalls bimmeln (pimmeln?) nur so die Ohren vor lauter «ekelerregend» grosser Schamlippen, «politisch korrekter» Lusttötung durch unnatürlich dominante Frauen, männerkastrierender Frauen-Überlänge und humanitärer Schönheits-OPs am weiblichen Genitale … derart ballerten die wahrscheinlich recht einträglichen Gewerbe der plastischen Genital-Chirurgie und Paarberatung aus vollen Kanonen (!) ihre Werbe-Kampagne für die Wiederherstellung gesellschaftlich akzeptabler Geschlechter-Grössenverhältnisse ab.

Auftakt am 29. Juli im rosaroten Gratisblatt: «Besserer Sex nach Vagina-OP». Gemeint ist jedoch nicht die Abhilfe für medizinisches geburtsbedingtes Leiden in der Schamregion, etwa in Form von Scheiden-Prolaps, Darmfisteln, Dammrissen oder Hämorrhoiden, sondern hauptsächlich: Schamlippenverkleinerung. Hm. Nach über 40 Jahren Frausein ist mir bis jetzt total entgangen, dass dieses schrumpelige Dingens irgend einen Einfluss auf mein oder meines Liebsten erogenes Empfinden hätte. Hatte wohl ständig Zwetschgen (Zwetschgen?!) auf den Augen.

Interessant ist der sprachliche Modus (Appell, soll, Imperativ), in dem uns dies dargebracht wird. Wer alte Magazine, z.B. aus den 60er-Jahren studiert, findet lauter Geschichten, Fotos und Altherren-Witze, in denen das Geschlechterverhältnis der männlichen Dominanz und der weiblichen Unterwürfigkeit als Tatsache und ohne die Notwendigkeit einer Ausdeutschung impliziert ist: Er sitzt im Sessel und lässt sich von ihr die dicke Zigarre anstecken. In der Karikatur starrt die behäbige Gattin griesgrämig auf das junge Busenwunder, dem gerade ihr ebenfalls behäbiger Gatte auf den Vorbau sabbert. Die Geschichte vom Bootsausflug handelt ganz selbstverständlich und unreflektiert von männlichem Heldentum und weiblicher Schutzbedürftigkeit.

2015 ist jedoch etwas anders – das Geschlechterverhältnis ist anders: Mehr Frauen als Männer machen in der Schweiz eine Matur (ohne danach jedoch gleich viel zu verdienen). Mehr Frauen als Männer haben mittlerweile in den USA die Ernährer-Funktion inne (ohne adäquate soziale Unterstützung bei ihren Familienpflichten). In der Schweiz läuft gerade eine Kampagne – unterstützt von unserem SP-Bundesrat – die den Frauen unter dem Titel der gleichen Rechte und Pflichten das tiefere Rentenalter klauen will – usw. In der Arbeitswelt ist es also immer noch nicht so, dass man sich aufgrund weiblicher Mehrleistung eine Mehr-Gegenleistung ausbedingen kann. Dennoch adressiert der neoliberale Kapitalismus Frauen und Männer gleich. Das Geschlecht ist, unabhängig von den ungleichen Lasten im Privaten, keine Kategorie mehr, die im Erwerbsleben eine Differenzierung und folglich einen Lastenausgleich erlauben würde. Frauen müssen genau wie die Männer in die Hosen steigen, nachts und am Wochenende arbeiten, migrieren usw. und dürfen sich, da die Gleichberechtigung mit der Ent-Nennung der Geschlechter pro forma als erreicht gilt, nicht mehr auf die Zusatzpflichten ihres Frauseins berufen. Dies ist in Wirklichkeit die tatsächliche, heute geforderte politische Korrektheit zwischen den Geschlechtern: Als Frau immer noch nicht gleichberechtigt zu sein (an Löhnen, an einer auf die eigene Realität zugeschnittenen Lebenswelt) und ersatzweise nochmals «gleichere» Pflichten zu übernehmen.

Zurück zur Sex-Diskussion heisst dies: Um das zu rechtfertigen, wird jetzt von irgendwelchen ExpertInnen an uns Frauen und Männer appelliert, so zu tun, «als sei die Welt noch in Ordnung» – als lebten wir noch im Vorbewussten, Voremanzipierten Zeitalter der «galanten» Geschlechterordnung. Die Geschlechter-Hierarchie, die der Kapitalismus mit seinem Gebot der steten Verfügbarkeit Aller für den Arbeitsmarkt erfolgreich verschleiert hat, müssen wir dazu im Privaten wieder künstlich inszenieren, um die angebliche Natürlichkeit des Marktgeschehens zu demonstrieren.