Aufruf zur Solidarität

Lehrbuchartig zeigt sich im neusten Kapitel über die Vergewaltigung von Jolanda Spiess-Hegglin, dass bei angeblich vollständig erreichter Gleichberechtigung die Verunglimpfung der Opfer von sexuellen Übergriffen und die Perversion der Schuldfrage auch heute noch an der Tagesordnung sind. Nadja Brenneisen hat für die  Online-Zeitung «Vice» den Fall nachrecherchiert (1) und viele abstruse Fehler bzw. Unter­lassungen gefunden: Die Kamera, die die Blessuren scheinbar belegte, hatte keine Speicherkarte drin. Urin- und Blutproben wurden erst nach 20 Std. abgenommen, obwohl K.O.-Tropfen bekanntlich nur 6 bis 12 Std. nachweisbar sind. Dafür wurde eine Haarprobe gemacht, die hierzu gar nicht aussagekräftig ist. Gleichzeitig wurde (ohne Meldepflicht!) der sexuelle Übergriff der Polizei angezeigt – und Spiess-Hegglin, aller Beweise beraubt, der Lächerlichkeit preisgegeben. Später wurde eine Handy-Aufnahme der Tat nicht als Beweis zugelassen, einem lügenden Zeugen durch alle Böden geglaubt, ein weiterer involvierter Mann nicht näher überprüft usw. Selbst die Journalistin wurde von der Zuger Staatsanwaltschaft noch angepflaumt («Verstehen Sie, was eine DNA-Spur ist?»). So wurde der Beschuldigte ziemlich zügig vom Vorwurf der Schändung mangels Beweisen freigesprochen – wegen Vergewaltigung wurde gar nicht ermittelt, da Spiess-Hegglin sich ja nicht an diese erinnern kann.

Das reicht anscheinend, um die Sache medial als «Fremd­küssen» oder «Sexabenteuer» zu verharmlosen und das Opfer – mit tatkräftiger Unterstützung eines geifernden und höhnenden Publikums – als Luder an den Pranger zu stellen: «Sie hat geturtelt? Dann wollte sie auch Sex. Sie hat getrunken? Dann ist sie selber schuld. Sie kann sich nicht erinnern? Dann hat sie es erfunden.» Jolanda Spiess-Hegglin musste sich in ihrem Kampf für Gerechtigkeit mehr als füdliblutt ausziehen, musste Hohn und Spott über sich ergehen lassen, viel Geld in die Hand nehmen und hat nach allen Demütigungen nun auch noch eine Gegenklage zu gewärtigen.

Liebe Leserinnen: Ich bin überzeugt, ihr habt – wie ich – als ganz normale Frauen auch schon Einiges erlitten, das ihr lieber vergessen würdet, das euch ekelt und beschämt und womit ihr sicher nicht unnötig hausieren geht. Und deshalb glaubt ihr – wie ich – keinem, der behauptet, eine Frau habe doch gewollt und streite dies jetzt ab und inszeniere ein Theater… Habe ich es etwa gewollt, dass mein Primarlehrer nach der Schule meinen Busen begrabschte? Es war mir oberpeinlich, aber ich wusste nicht einmal, dass es verkehrt war. Oder was hätte ich der Polizei sagen sollen, nachdem einer mich bis vor den Posten verfolgt hatte, während er mir erzählte, er habe ein Loch in der Hosentasche und würde sich jetzt befriedigen? Wie hätte ich beweisen sollen, dass ein bis dahin Geliebter mich ungefragt und gegen meinen Widerstand anal penetrierte?  Es hatte ja einvernehmlich begonnen! Was für ein Übergriff war das genau, als ich mit dem einen Typen ein Schäferstündchen ausmachte, worauf ein anderer im angegebenen Auto sass und gleich losdüste? (Zum Glück war ich sturzbesoffen (konnte die beiden aber noch gut unterscheiden), damit einen Halt erzwingen, neben den Wagen kotzen und abhauen.) Oder was sagt es über unsere Emanzipation aus, dass ich von einem Bekannten aufsässig mit sexuellem Begehren bedrängt wurde, mit der Begründung, dass doch alle wüssten, dass ich eine offene Beziehung führte?

Solches kommt euch sicher bekannt vor. Und daher rufe ich euch (und natürlich alle Leser) auf, euch – wie ich – mit Jolanda Spiess-Hegglin zu solidarisieren und mit einer Spende die skandalöse Ungerechtigkeit wenigstens finanziell zu mildern (ihr IBAN lautet CH71 0078 7000 8702 6070 4, Vermerk: Solidarität). Danke!

(1) «Vice» hat den Artikel nach Drohungen und Druckversuchen entfernt. Zurzeit ist er hier zu lesen: https://stefanthoeni.ch/index.php/2015/09/24/fragen-die-wir-zur-zuger-sexaffare-noch-stellen-mussen/