Cool

Kürzlich hob ich im Seefeld eine Vogelfeder auf. Ich bin etwas nostalgisch. Eben hatte ich noch ein Waldkind, und jetzt ist es zum Schulkind geworden. Es hat jetzt nicht mehr so viel Zeit, um Federn, Nüsse, Stecken, Blätter, Steine und Lehmklumpen zu sammeln und im Zimmer anzuhäufen. Ich übernehme das, wie gesagt, aus Nostalgie. Es ist ein bisschen peinlich, als Erwachsene etwas von der Strasse aufzuklauben; man denkt sofort an Hundedreck, HIV und Vogelgrippe dabei. Aber: Da hat mich einer angelacht. Ich schaute kurz weg und wieder hin und er ganz empathisch und begeistert, mit dem Kopf in meine Richtung nickend: «Das bringt Glück!» Und schon war ich um die Ecke.

Ich bin ja nicht abergläubisch. Aber aufgeheitert war ich sofort. Netter Gedanke! In angestachelter Spendierlaune bog ich in den nächsten Laden ein. Er erwies sich als Haushalt- und Eisenwarengeschäft. An so einem Ort kann man viele interessante und brauchbare Dinge finden und auch Erkenntnisse gewinnen. Hätten Sie zum Beispiel gewusst, dass die schönen Ketten aus Chromstahlkügelchen, an denen Badewannenstöpsel befestigt sind, von der Ausrottung bedroht sind? Ich erstand die letzten Meter (für eine nicht alltägliche Halskette), Kostenpunkt: zwei Franken. Nun, das war doch schon ein nettes kleines Alltagsglück. An der Kasse musste ich jedoch feststellen, dass ich ohne Portemonnaie unterwegs war. Mein Herz sank in die Hose, und so schnell es unter diesen Umständen ging, eilte ich zurück ins Kurslokal, wo ich zuletzt mit meinem Geld einen Kaffee gekauft hatte. Mein unersetzbares Utensil lag noch da, gut getarnt zwischen Kabeln und Computern.

Ich bin immer noch nicht abergläubisch. Jedoch ist es sehr wahrscheinlich, dass ich ohne die aufheiternde Glücksprophezeiung müde ins nächste Tram gestiegen und schwarz nach Hause gefahren wäre – wäre ich denn so weit gekommen. Dort hätte ich dann erst den Verlust bemerkt, aber das Kurslokal wäre bereits geschlossen gewesen und ich hätte übers Wochenende zwei schlaflose Nächte verbracht und vielleicht mit Kostenfolge sämtliche Karten gesperrt. Zum Glück hat mich ein Kind für die Schönheit einer jeden Feder sensibilisiert. Zum Glück hatte ich die Augen offen und hob die Feder auf. Zum Glück hat mich einer spontan angelacht und sich nicht geschämt, einen leicht esoterischen Kommentar abzugeben – was man halt so sagt, wenn man Freude hat. Zum Glück war das alles irgendwie uncool.

Je länger je mehr finde ich, dass Coolness eine Krankheit ist. Sie erstickt die Seele wie eine zähe Ladung voll Zement, die luftdicht abschliesst und betonhart auftrocknet. Wer cool ist, kann gut zuschlagen. Wer cool ist, kann auch gut einstecken. Oder lügen, bescheissen, betrügen, täuschen, wegsehen. Am allercoolsten sind jene, die die allerderbste Gewalt ohne das geringste Gefühlszucken konsumieren oder ausüben oder beobachten oder über sich ergehen lassen. Man könnte sie auch Dumpfbacken nennen und in die Schublade mit den Verhaltensauffälligen stecken. Aber woher kommt eigentlich der gesamtgesellschaftliche Cool-Kult? Wie konnte ein bindungszersetzendes, unreifes Möchtegerngehabe es zu Starruhm bringen?

So denke ich und stecke die Feder zu den anderen im Kinderzimmer. Links davon guckt knuddlig der Knut, rechts davon cool der Jack Sparrow aus einem Poster …

Ein Gedanke zu „Cool“

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