Ein gelungener Abend

Kürzlich steuerte ich mit meinem Angetrauten am Arm auf meine Stammpizzeria zu. Es war ein lauer Abend, und das Glück lachte uns zweifach. Erstens: Draussen war ein Tisch frei. Zweitens: Adrette Menschen winkten fröhlich vom Nebentisch meinem Gatten zu. Für Unterhaltung war also gesorgt. Gutaussehende Bekannte sind von unschätzbarem Wert, wenn man selber eher unscheinbar ist oder gerade den Bad-Hair-Day schiebt. BH vergessen, Loch im Pulli, zwei verschiedene Socken, Schminke verschmiert: alles kein Problem! Gutaussehende Bekannte überstrahlen sowieso alles, ziehen die Blicke der Mitmenschen wie magisch auf sich und sehen grosszügig über andere und ihre Fehler hinweg. Unzulänglichkeiten von Durchschnittsmenschen verblassen da wie Unkräutlein im Schatten einer prächtigen Lilie.

So dachte ich, aber es sollte sich als Vorurteil erweisen. Der Bekannte wandte sich nämlich ganz persönlich an meinen Mann, mit dem er auf die gleiche Schule gegangen war. «Kaum zu glauben, dass du eine Klasse unter mir warst. Du hast ja schon einen grauen Bart!», begann er – glattrasiert und sonnengebräunt – den Austausch freundschaftlicher Nettigkeiten. Da hatte er wohl Recht. Mein Liebster führte tatsächlich einen etwa Fünf-mal-drei-Tage-Bart spazieren. Als nächstes wurde das tragische Versagen eines gemeinsamen Kumpels abgehandelt, der es nur zum Untergebenen unseres Gegenübers gebracht hatte – dann bekam mein Gatte grosszügig eine Visitenkarte zugesteckt und wurde aufgefordert, sich um eine offene Stelle bei ihm zu bewerben.

«Aber weisst du», sprach er vertraulich zu meinem Mann – und man muss wissen, dass sie beide früher rebellische Musik machten – «ich kann nicht verstehen, warum du dich nie aufgelehnt hast. Wenn man eine Junge ist, da gibt’s immer die ältern Jungs, die schon eine Freundin haben. Und mit Sechzehn jene, die schon ein Töffli haben. Und mit Achtzehn jene, die schon ein Auto haben. Ich habe rebelliert gegen meine Eltern, bis ich ein Töffli bekam. Und dann ein Auto. Was bin ich nicht besoffen herumgefahren mit ihrem Chlapf! – Aber du hast dich immer angepasst.» Dabei knetete er unter dem Tisch den Knöchel seiner Schönen, während diese mir ab und zu über dem Tisch ihr offensichtliches Decolleté zuwandte und eine Parallelkonversation unter Begleiterinnen versuchte. «Man kann doch nicht alle Zwänge einfach akzeptieren!», dröhnte er jedoch dazwischen. Nun ja, dachte ich, mein Mann ist tatsächlich kein Easy Rider; sein einziges motorisiertes Liebhaberobjekt ist eine Mähmaschine. Dennoch wagte ich eine Replik: «Autos üben ja auch Zwänge aus. Dagegen kann man z.B. politisch aufbegehren.» «Ach was, diese grünen und linken Fundis! Weisst du, was mir die Jugend vermiest hat? In den Achtzigerjahren, kaum konnte ich endlich Autofahren, kam das Waldsterben. Dann kam Aids – du verstehst, was ich meine. Und zuletzt noch der Feminismus!»

Mein Mann und ich tauschten einen kurzen Blick. Antworten war gar nicht nötig. Andächtig lauschten wir weiteren grossartigen Welterklärungen und stützten den Monolog mit höflichen Floskeln. Als die Bekannten sich turtelnd verabschiedeten, bestellten wir noch ein Bier. Selten waren wir uns ohne Worte so einig gewesen!