Jesus und Darwin

Adventssingen mit Schnulzenheini und Schulkinder-Chor. Ein jovialer Typ (Gewerbe­präsident?) bemüht sich, mit seiner Begrüssungsrede in der prächtig dekorierten, klotzig-kühlen Dorfkirche vorweihnächtliche Stimmung aufkommen zu lassen: «Jedes Jahr sagen wir uns in der Familie: Diesmal ohne Geschenke! Und jedes Jahr lassen wir den Vorsatz wieder fallen und kaufen doch welche. Aber wir sollten uns nicht grämen darüber. Geschenke kaufen ist doch gut für alle: Es macht Freude und kurbelt die Wirtschaft an!»

Geschenke-was-denn-Sonst? war natürlich auch mein Credo zum Thema Weihnachten, bis ich etwa achtzehn Jahre alt war. Irgendein anderer Glaube verband mich sowieso nicht mit dem Christentum. Dann wurde ich erwachsen und fand es irgendwann beschämend, immer Freude über unwillkommene Geschenke heucheln zu müssen. An Weihnachten trifft sich seither die Familie, mal mit und mal ohne Geschenke. Wir essen Schinken und Kartoffelsalat und singen Weihnachtslieder, obwohl uns allen nach wie vor der Glaube fehlt. Eigentlich könnte ich schon lange aus der Kirche austreten. In meiner kommunistischen Phase wollte ich das auch, habs aber Jahr für Jahr verschlampt. Und so erhalte ich an jedem neuen Wohnort zuallererst Post von der Kirchgemeinde: Einladungen zu Gottesdiensten und das Kirchenblatt.

Mit der zunehmenden Markt- und Rendite-Gläubigkeit rundum habe ich dessen Inhalte langsam schätzen gelernt. Der Glaube an Jesus, der Nächstenliebe predigt, schien mir je länger je mehr das kleinere Übel als die Gebetsmühle des «Wenn es nur unserer Wirtschaft gut geht, gehts uns allen gut» ­–  vor allem weil Letzteres die Frage, wie es denn den anderen geht, die nicht zu uns gehören, konsequent ausklammert. Irgendwann kommt ja im Leben eines jeden Menschen (hoffentlich) ein Punkt – vielleicht wollen wir ihn späte Reife nennen – an dem es tatsächlich ein Bedürfnis wird, sich auch ums Wohlergehen der anderen zu kümmern.

Ich bin deshalb froh, dass das Bleiberechts-Kollektiv und 150 Sans-Papiers die Predigerkirche in Zürich besetzen, um Gottes Knechte auf Erden, die schenkselige Christenheit und alle Marktgläubigen daran zu erinnern, was in Tat und Wahrheit das Fundament und der Kitt unseres Gesellschaftsgebäudes ist: gelebte Menschlichkeit, selbstlose Unterstützung der Schwächeren, Zivilcourage gegen Be­amtenwillkür.

Das wird 2009, im Jubeljahr zu Darwins Ehren, besonders wichtig. Schon bald werden Besinnlichkeit, Festtags-Knigge, Gourmet-Knowhow und Kaufhysterie aus den Zeitungsspalten verschwinden und Platz machen für Lobhudelei auf Darwins Werk «On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Perseveration of Favoured Races in the Struggle of Life». Lesen Sie das nicht. Darwins Errungenschaften liegen auf der Hand. Seine Evolutionstheorie hat in verdankenswerter Weise der Bibel die Definitionsmacht über die Entstehung des Lebens auf Erden entrissen. Aber Darwin hat damit noch ganz anderen Dogmen zum Durchbruch verholfen: der Rassenhygiene, dem Recht des Stärkeren, dem Konkurrenzkampf als Grundlage jeden Fortschritts, einer merkantilistischen Auffassung aller zwischenmenschlichen Beziehung. Lesen Sie stattdessen Joachim Bauers «Prinzip Menschlichkeit – warum wir von Natur aus kooperieren», eine fundierte Replik auf die fragwürdigen Implikationen von Darwins Theorien. Frohe Weihnachten für Ungläubige, sozusagen.