*lichkeiten

Den Gegenstand des heutigen Texts verstehe ich leider auch nicht – obwohl ich es (vielleicht) selber bin – oder habe? Item: Als ich studierte, war gerade der Poststrukturalismus in; wir lasen Judith Butlers «Gender Trouble». Der Inhalt war grob gesagt (und frei nach der Zusammenfassung auf Wikipedia): Nicht nur Gender, das soziale Geschlecht, stehe mit dem biologischen Geschlecht nicht ursächlich in Verbindung. Sondern auch das «Körpergeschlecht» («sex») sei diskursiv erzeugt. Die Einteilung der Menschen in die Kategorien männlich und weiblich sei demnach ein Konstrukt, das eine angebliche, natürlich-biologische Tatsache zum Vorwand nehme, Herrschaft und Macht auszuüben, und daher müssten diese Denkbilder dekonstruiert werden. Von Judith Butler kaum so beabsichtigt, hatte ihr Werk zur Folge, dass ich feministische Theorie fortan mied, da sie mir unter diesen Vorzeichen in meinem Leben als bekennende Frau keine Hilfe bot. Darum entgingen mir aber auch interessante Repliken, wie etwa Barbara Dudens «Frau ohne Unterleib: Zu Judith Butlers Entkörperung» oder Hilge Landweers «Kritik und Verteidigung der Kategorie Geschlecht», die mich in meinem diffusen Widerspruch bestärkt hätten, dass das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern nicht einfach abgeschafft wird, indem diese für ungültig erklärt werden. Butlers Theorie hat sicher eine Bresche geschlagen für Menschen, die ihre geschlechtliche Identität gänzlich jenseits der Heteronormativität sehen, also all jenen, die sich queer-, trans-, homo- und sonstwie unkonventionell sexuell verorten (etwa indem nun eine Conchita Wurst ein selbstverständliches und massentaugliches Phänomen wird) – und das ist möglicherweise das einzig Gute am Ganzen.

Im Übrigen scheint in diesem Prozess der angestrebten Entmachtung der Geschlechter bevorzugt das weibliche zu erodieren. Das gut gemeinte Gender-Mainstreaming etwa hat bewirkt, dass keine reinen Mädchenprojekte mehr öffentlich finanziert werden dürfen – denn damit würden Knaben benachteiligt. Wer immer etwas für Frauen anbietet, muss es auch für alle anderen Geschlechter tun. Das verschleiert Geschlecht als Indiz tatsächlich stattfindender Diskriminierung und erschwert Gleichstellungs-Anstrengungen. Es kann auch vorkommen, dass in alternativen Frauenräumen, z.B. Frauenkino, Menschen teilnehmen, die sich anderntags eher als Mann fühlen. Das Umgekehrte ist unvorstellbar – nur schon, weil ein männliches Soziotop in der Regel nicht als solches gekennzeichnet ist, da es implizit die Norm ist. Was hätte eine als Mann auftretende Frau wohl an einem bierseligen Stammtisch oder in einem Puff verloren? Sogar der Feminismus will nicht mehr «nur» Frauen meinen und nennt sich nun «Queer-/Feminismus». In politischen Diskursen wird es immer üblicher, nicht mehr über Frauen, sondern über Frauen, Lesben, Transgender «und andere Weiblichkeiten» zu schreiben. Könnte es sein, dass die weibliche Kategorie einfach die beliebtere, für Übertritte empfänglichere ist? Oder eben die schwächere, usurpierbare? Jedenfalls habe ich das Umgekehrte, also Männer, Schwule, Transgender «und andere Männlichkeiten» noch nie gehört. So befragte ich Google, und es fragte zurück: Meinten Sie «und andere Peinlichkeiten»? Die Antwort überlasse ich Ihnen (bitte ankreuzen): [ ] ja [ ] äh … [ ] nein [ ] evtl. [ ] weiss nicht.