Agoraphobie?

Die überbevölkerte Schweiz, soso … Ich muss mal kurz in mich gehen und reflektieren, wo mir meine MiteinwohnerInnen schon derart massenhaft auf den Keks gehen, dass ich sie auf den Mond wünsche.

Logisch: beim Autofahren! Vorne, hinten, links und rechts nur Drängelei, Blink-Abstinenz und Telefonie-induziertes Schlangenlinienfahren. I’m surrounded by idiots! Flucht in die Natur! Aber Im Voralpenexpress hocken die Passagiere im Gang; statt einsamer Pfade führen geschäftige Ameisenstrassen auf die Berge; keine SAC-Hütte ohne ultramodernen Anbau und johlende Gruppen mehr. Man sollte sich vielleicht zuhause im Schlaf erholen – nur wird die ganze Nacht hindurch gefeiert, gelärmt, gearbeitet, geflogen. Wer eine der raren Stadtwohnungen ergattert hat, kann sich nicht einmal freuen darüber. Ebensowenig übers Shoppen! In den Läden nicht enden wollende Schlangen; Horden von Kaufwütigen stürmen die Zürcher Bahnhofstrasse, als würde morgen schon der Kapitalismus abgeschafft … Agoraphobie!

Aber ist das insgesamt ein «Masseneinwanderungsproblem»? Tatsächlich hat sich die Anzahl Autos Seit den 1980er-Jahren verdoppelt. Die Bevölkerung wuchs aber gleichzeitig nur um 30 Prozent; die verstopften Strassen sind also hausgemacht. Beim Wandern sucht man Kopftücher und Balkanslang sowieso vergebens. Das ist ein gutschweizerisches Abenteuer (von den in die entlegensten Alpendörfer verbannten Asylsuchenden einmal abgesehen). Auch die 24-Stunden-Gesellschaft ist kaum ein Ausländerphänomen, und die Stadt Zürich hatte in den 60er-Jahren sogar schon einmal mehr EinwohnerInnen als heute. Im internationalen Vergleich der Wohndichte ist die xenophobe Panikmache sowieso lächerlich. Man muss gar nicht Tokyo oder Kalkutta bemühen – nehmen wir einfach das hippe London. Die «Greater London Area» erstreckt sich über 1572 km², und 2012 wohnten dort laut Wikipedia 8’308’369 Menschen. Die Fläche der Schweiz misst 41’285 km², und 2012 lebten hier 7’997’000 Menschen. Oder anders gesagt: Um London herum findet eine Bevölkerung, die zahlreicher ist als die schweizerische, auf einer Fläche Platz, die kleiner ist als der Kanton Zürich (1729 km²). Soviel einmal zur Platzangst.

Und nun zu den Ausländerinnen. Eine Rückkehr zum Saisonnier-Statut verbietet sich aus verschiedensten Gründen, absolut jedoch unter dem Blickwinkel der politischen Redlichkeit. Heute migrieren immer mehr Frauen, denn die personennahen Dienste in Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege bilden einen der am stärksten wachsenden Sektoren, und diese Arbeiten sind bei Schweizerinnen unbeliebt, da stressig und schlecht bezahlt. Es kommen nicht Arbeiter mit der Maurerkelle, auch nicht hochspezialisierte Fachleute, sondern Mütter von Kindern, Töchter von Gebrechlichen, die ihre Familien notgedrungen im Stich lassen, um unseren Komfort und Wohlstand zu nähren. Ihnen den Familiennachzug zu verwehren, wäre einiges unmenschlicher, als diese Praxis schon gegenüber den früheren Saisonniers war. Könnten sie aus Kontingentsgründen gar nicht regulär einreisen, so würden sie trotzdem – einfach illegal – angestellt und somit der Ausbeutung und Kriminalisierung ausgesetzt. Denn die Nachfrage besteht sowieso (siehe Causa Fehr). Auch links-ökologisches Denken sollte sich daher radikal von bräunlichen Argumenten trennen.