alles jederzeit überall

Weitab vom Alltag sass ich im Bergell auf einem Bänklein, als eine Familie sich näherte. Sie wanderte sie ohne Landkarte, dafür aber mit dem Handy. Bei der nahen Weggabelung diskutierte man, welche Richtung zu nehmen sei, reckte das Telefon in die Luft, verglich mit den Angaben des Wegweisers, rätselte über dessen Aufschrift und ging dann weiter, nicht ohne die Wanderung weiterhin mit den Informationen des Gerätleins zu vergleichen.

Zwar weiss ich nicht, ob es sich um einen Ortungsdienst mittels GPS oder Internet handelte, aber die Szene schien mir wie ein Beispiel zu einem Artikel aus der englischen Beilage des Tages-Anzei­gers vom 1. Oktober, des «New York Times International Weekly», den ich hier zusammenfas­se. (Diesen Text haben Sie evtl. trotz Englischkenntnissen nicht gelesen – und so hoffe ich, dass meine Nacherzäh­lung für Sie Neuigkeitswert hat.) Die «New York Times» hat eine mehrjährige Studie durchgeführt, um den Energieverbrauch des Internets zu erheben – und Befunde zutage gefördert, die erheblich am sauberen Image der neuen Internet-basierten Industrien kratzen, schreibt James Glanz. Kaum jemand stellt sich vor, welcher Energieverschleiss hinter der Bereitstellung von Informationen, Einkaufs- und Bezahldiensten, Unterhaltungsmedien, Informationsspeichern (in einer «Wolke»!) und der angeblich rein «virtuellen» Zustellung von Nachrichten steht.

Jährlich verbraucht der digitale Markt weltweit 30 Mia. Watt an Elektrizität, was der Stromproduktion von 30 Atomkraftwerken entspricht. Eine explodierende Informationsflut wird in 3 Mio. Datencentern verarbeitet. Es wird geschätzt, dass ein Datencenter mehr Energie verbraucht als eine mittelgrosse (amerikanische) Ortschaft. In den USA verbrauchten die Datencenter 2010 rund 15 Prozent mehr Energie als die Papierindustrie! Jedes Center beansprucht daneben Tausende Quadratkilometer Land, produziert Unmengen an Abwärme, der mit Kühlsystemen begegnet werden muss, und ist gegen Stromausfall mehrfach gewappnet: Dieselgeneratoren übernehmen bei längeren Ausfällen, während Bleibatterien die Energiezufuhr beständig gegen Kleinstausfälle von Sekundenbruchteilen schützen. Nicht selten verstösst der Betrieb dieser Stützsysteme gegen Umweltgesetze.

Geradezu stossend ist die Ineffizienz bei der Ausnutzung des horrenden Energieverbrauchs. Die Studie der «Times» kam zum Schluss, dass durchschnittlich nur zwischen 6 und 9 Prozent (!) der aufgewendeten Energie tatsächlich für Daten-Transaktionen gebraucht wird, während der Rest verpufft, um das ganze System rund um die Uhr auf Stand-by zu halten. «Wären wir eine produzierende Industrie, müssten wir den Betrieb sofort einstellen», gibt ein Insider unumwunden zu. Zwar kennt man Technologien, um Datencenter sicher herunterzufahren – etwa über Nacht. Oder bessere Logistik, um Grossaufträge in Leerzeiten zu legen. Aber niemand wendet sie an, denn zum Stromsparen gibt es keine Anreize: Stromproduzenten hätscheln Datencenter als konstante Abnehmer, und bisweilen gibt ein Datencenter erst den Ausschlag zum Bau einer neuen Stromleitung (mit Steuergeldern).

Am anderen Ende des Stromkabels, der Datenleitung und der «Wolke» sind es aber immer noch wir KonsumentInnen, die das Problem verursachen, indem wir mit unseren neuen Gewohnheiten die Erwartungen an die ständige Verfügbarkeit von «allem, jederzeit und überall» hochschrauben…