Nackte Tatsachen

Allerlei Nackedeis erwärmen die Gemüter in der kalten Jahreszeit. Für ihre herrlich dumme Kampagne mit dem blutten Soldaten sollten wir der SVP dankbar sein. Für wie blöd halten die uns Frauen eigentlich? Denn auf uns – oder den Anteil pazifistischer WechselwählerInnen unter uns – ist ihre Kampagne gegen die Entwaffnungsinitiative ja offenbar gemünzt. Bloss: Wie ist das jetzt genau gemeint? Sollte bei Frauen ein unbedingter Sabberreflex mit automatischer Hirnabschaltung ausgelöst werden? Oder glaubt irgendeiner im Ernst, die Gleichsetzung des männlichen Genitales mit einer Waffe könne Frauen begeistern? Meine Diagnose: klassisches Eigentor.

Lassen wir statt nackter Männer doch Tatsachen sprechen: «Kein europäisches Land hat so viele Schusswaffensuizide pro 100’000 Einwohner wie die Schweiz», und: «Kein europäisches Land hat so viele Schusswaffen pro 100’000 Einwohner wie die Schweiz» – das Schreibt Dr. Thomas Reisch von der Berner Universitätsklinik für Psychiatrie in der aktuellen Ausgabe der «Schweizerischen Ärztezeitung». Er hat vertiefte Forschung zum Suizid mit der Ordonnanzwaffe angestellt und zitiert eine Metastudie, die wissenschaftlich erhärtet, dass es beim Suizid kaum «Methodensubstitution» gibt. Wer keine Schusswaffe hat, greift eben nicht zu anderen Mitteln – sondern lässt es bleiben. Überraschendes fördert auch die Statistik zur Armee 21 zutage. Seit im Jahr 2004 das maximale Dienstalter auf 30 Jahre gesenkt und die Abgabe der Waffe nach Hause stark erschwert wurde, hat sich bei den 30- bis 40jährigen Männern die Anzahl der Schusswaffensuizide halbiert. Dr. Reisch ist überzeugt: «Wir wissen, dass wir die wahrscheinlich grösstmögliche Reduktion der Suizidrate mit Hilfe einer einzigen Massnahme erreichen können.» Und da die Armeewaffe auch bei der Hälfte aller Mordfälle durch Erschiessen im Spiel ist, dürfen wir auch auf eine deutliche Abnahme von «Familendramen» mit tödlichem Ausgang hoffen.

Doch zurück zur Bluttfront. In Italien erhitzen sich Lokalpolitiker in seltener Union mit Feministinnen über den Skandalfotografen Oliviero Toscanini (Ex-Benetton-Kampagnen) – wegen eines Werbekalenders mit Porträts von behaarten weiblichen Schamgegenden. Ich kann gut verstehen, wenn sich Feministinnen dagegen wehren, dass für irgendwelche Konsumgüter unter dem Motto «Sex sells» (meist unmotiviert und zusammenhanglos) mit nackten Frauen geworben wird, doch liegt hier der Fall nicht etwas anders?

Durchaus unfreiwillig werde ich in öffentlichen Garderoben und bei geselligen Sportanlässen mit zunehmend offensiver «Nackter-als-Nacktheit» seitens des weiblichen Geschlechts (im Wortsinne) konfrontiert. Als schambegabter Mensch weiss ich manchmal nicht, wohin ich beiläufig meinen Blick richten soll, um nicht unerwünscht detailreiche Kenntnisse über die blankrasierten oder -gewachsten Intimgegenden von Sports- und Arbeitskolleginnen zu erlangen. Ein wenig Busch wäre mir ehrlich lieber! Während der um sich greifende Porno-Chic von Frauen präpubertäre Haarlosigkeit verlangt, hat Toscanini wieder einmal ganze Subversion abgeliefert. Schamhaare zum Werbespruch «Vera Pelle» – sprich: Der echte weibliche Pelz ist eben ein behaarter Balg – das könnte glatt von mir sein!