Physis

Kürzlich griff ich wieder einmal zur mathematischen Formelsammlung, Abteilung Physik. Sicher fällt Ihnen sofort auf, dass ich nicht Wikipedia konsultiert habe. Bei mir zu Hause stehen auch mehrere hundert Bücher herum, aber kein Fernseher, und ich würde lieber eine Stunde lang in einen Baumwipfel gucken als ein Computerspiel zu spielen. Die reinste Gegenwartsverweigerung, ich gebs ja zu. Trotz meiner jugendlichen vierzig Lenze bin ich also schon ewig gestrig. Was hätte ich unseren Nachkommen schon zu erzählen, so als Lehrerin oder Mutter…

Derart geriet ich ins Sinnieren über meinen Daseinszweck, übers Leben im Allgemeinen und die Arbeit im Speziellen. Die Physik kann hierzu Aussagen von erfrischender Klarheit liefern. Kraft: Das ist Masse mal Beschleunigung. Logo – darum machen grosse Autos ja stark. Arbeit: Das ist Kraft mal Weg. Ich habs geahnt – wer weiter kommen will, muss natürlich mehr arbeiten. Leistung: Das ist Arbeit pro Zeit. Versteht jeder. Nach der Klärung dieser grundlegenden Kräfteverhältnisse war mir doch nach leichterer Muse zumute, und in Ermangelung einer Fernbedienung nahm ich eine Zeitung zur Hand. «Knaben sind sportlicher als Mädchen», prangte da in fetten Lettern. Soso, dachte ich, wie das wohl kommt? Herr Krebs vom Institut für Bewegungsforschung der ETH Zürich erklärt: «Das kann mit der körperlichen Entwicklung zu tun haben. Knaben sind kräftiger. Auffallend ist, dass sie oft auch ehrgeiziger sind, während Mädchen die Übungen eher korrekt machen.» Auffallend ist auch, dass der Test von den Kindern eine grosse Motivation für rein abstrakte Leistungssport-Bröckchen verlangt: kurzer Sprint, an Ort hüpfen, aus dem Stand weitspringen. Könnte es evtl. auch sein, dass man Knaben für solches leichter gewinnen kann als Mädchen, weil letztere vielleicht – äxgüsi – lieber etwas Sinnvolleres oder Freudvolleres machen würden?

Aber nein, Frau Müller, wo denken Sie hin! «Oft sind Kinder aus bildungsfernen Schichten schwächer», und «auffallend schwach schnitten die Kinder über 35 Kilogramm Körpergewicht ab» – wie etwa eine «pummelige Erstklässlerin», deren «Beine unbeholfen strampeln» (und die auf dem Foto gut zu identifizieren war. Bravo.)

Als Mutter eines leidlich dicken (ü35 Kg!!), aber kaum bildungsfernen Kindes (siehe oben) möchte ich entgegnen: 1. Es gibt auch agile «Pummel», die reiten, schwimmen und Purzelbäume schlagen können – was wesentlich spassiger ist, als sich an Tabellen zu messen. 2. Man sollte statt dem dicken Mädchen realistischerweise den dicken Knaben beschreiben, denn Männer sind – trotz kindlicher Sportlichkeit – übergewichtiger als Frauen. 3. Leistungssport ist ja nicht gerade gesund: Die Laien verletzen sich zu oft, und die Profis dopen sich krank.

Wer gar das Bildungsniveau im Munde führt, kennt sicher die elementare Mechanik und weiss daher: Der dicke Pummel, der die Strecke langsam zurücklegt, erbringt mindestens die gleiche Leistung wie das Federgewicht, das sie schnell hinter sich bringt. Weil Leistung = Masse mal Beschleunigung mal Weg pro Zeit (q.e.d.). Also, liebe Mitpummel und -pummelinnen, lasst euch nicht für dumm verkaufen!