Das Märchen vom Weihnachtsstress.
«Vor Weihnachten geben all die Vorbereitungen mit dem Advent und dem Heiligen Fest ordentlich zu tun. Das fängt schon im November an mit der Zubereitung von Quittenmus für die Pästli. Dann Pilze zum Verschenken einmachen. Als nächstes kommt der Advent. Der Kranz soll jedes Jahr noch origineller und brandsicherer sein. Bald darauf folgt der Samichlaus. Der Chlaus muss gebucht und mit Sündenregistern ausgerüstet werden. Von den Kindern unbemerkt muss man allerlei Leckereien einkaufen. Quittenpästli ausstechen und einpacken. Die Säcke kurz vor dem Ereignis gerecht und nach individuellen Geschmäckern befüllen, Kinder in die richtige Stimmungslage zwischen Komplizenschaft, Ehrfurcht und Vorfreude schaukeln, mit Pokerface die Chlausmetarmophose (aus Götti, Papi oder Mutti persönlich) inszenieren. Danach werden wir bis im Februar spanisch Nüssli essen (oder sie im nächsten Frühling zum ersten Cervelat vom Feuer als Brandbeschleuniger verwenden). Es gibt Adventsbesuche von und bei Verwandten, die es nicht an die weihnächtliche Ehrentafel schaffen. Nun die Chräbeli backen. Die blinkende Festdekoration der Nachbarschaft wird ohne epileptische Anfälle ertragen oder mit einer ulitmativen Eigenkreation übertrumpft. Man fährt zu Weihnachtsessen hier, da und dort. Menupläne wälzen. Dann Wichteln: Für das Schulkind möglichst billige Präsentli mit möglichst teurem Anschein organisieren. Tränen trocknen, wenn der Gegenwichtel nur einen müden Keks spendiert hat. Jetzt Zimtsterne backen. Das heikle Geschäft der Terminfindung steht an, insbesondere: Welche Schwiegereltern bekommen den 24. Dezember? Gäste einladen. Mailänderli backen. Der Gschänklistress beginnt: Mit Mühe und Not für alle näheren und ferneren Verwandten jedes Jahr aufs Neue wieder ein passendes Geschenk finden. Mit moralischer Komponente bedauern, dass die Geschenke ‹heutzutage› gar nicht mehr von Herzen kommen. Mit konsumkritischer Komponente beklagen, dass nichts mehr selber gemacht wird, und dass man sich daher den Stress antun muss, im Vorweihnachtsrummel einkaufen zu gehen. Ratlosigkeit macht sich breit über die kühnen Wünsche der noch nicht so reifen Familienmitglieder. Mailänderli dekorieren. Sablés backen. Endlich die Wohnung aufräumen, Gopfertammi! Wie sollen sich die Gäste in diesem Saustall wohlfühlen! Angesichts der Ballung angedrohter Festivitäten spinnen alle: Die Mütter, die Ehegatten, die Schulkinder, die Autofahrer, die Postbeamtinnen usw. Erste ‹Familiendramen› nehmen ihren Lauf. Hat eigentlich jemand einen Baum gekauft? Jetzt hätten wir doch glatt den Baum vergessen! Das war noch nicht alles: Heilig-Abend-Stress. Was auftischen, um als Köchin nicht das Fest in der Küche zu verbringen? Was anziehen, um in den bescheidenen vier Wänden weder gammlig noch overdressed zu wirken? Wir haben zu wenig Aufhänger für die Weihnachtskugeln und ausser Sirup keine Getränke ohne Alkohol! Nahtloser Übergang zum Päcklistress: Der Haufen eingekaufter Nettigkeiten quillt hübsch verpackt unter dem Baum hervor und versperrt den Weg. Kinder schiessen aufgedreht kreuz und quer durch die Wohnung, verweigern die Nahrungsaufnahme und machen Schreikrämpfe. Also gut, ziehen wir das Baumbrimborium halt vor dem Essen durch! Die Geschenke sind … nett … momoll, vielen Dank! Einige Gäste gehen unhöflich früh heim, andere bleiben unverschämt lange. Gähn. Zweiter Verdauungsspaziergang durch die grüne Nacht. Trotz allem ein Happy-End: Tagelang erlesene Speisereste!»
Mein profanes Weihnachten: findet statt, trotz Stress. (Arbeiten stresst sowieso mehr als Weihnachten.) Was daran märchenhaft sein soll? Keine Social Media. Kein Sonntagseinkauf. Ein wenig Lichtzauber, ein wenig Flunkerei und alle Lieben dabei. Ich schätze es, so lange ich es habe.