Bubenkram: Frauensache?

Als Pädagogin erhalte ich hin und wieder Post vom Netzwerk Schulische Bubenarbeit. Nun ja. Nachdem wir Frauen unsere Emanzipation selbst erlitten und erstritten haben, würde unsereine erwarten, dass das Gleiche heute auch für die Männer gilt. Das ist leider der Ausnahmefall. Ganz wenige BubenpädagogInnen gehen davon aus, dass die Zwangsjacke der männlichen Härte und Überlegenheit auch für Knaben und Männer ein grosses Leid darstellt. Der überwiegende Teil von ihnen glaubt nach wie vor, dass Männer und Frauen auch über die biologische Reproduktionsfunktion hinaus so grundlegend verschiedene Menschen sind, dass für sie unterschiedliche Regeln gelten sollten. Und vor allem: dass Knaben nicht in erster Linie zu Menschen, sondern zu Männern erzogen werden müssen. So werden mir denn angeboten: Kampfseminare, damit ich lerne, wie toll sich Rangeln unter Buben anfühlt. Knabengerechte Koedukation, weil es nicht fair ist, wenn die Mädchen nun plötzlich alles besser können.

Mädchen haben sich jahrhundertelang klaglos männlichen Lehrern gefügt – sofern man sie nicht a priori von der Bildung ausgeschlossen hat (In Afghanistan wurde neulich wieder einem Mädchen das Gesicht verätzt, weil es unerlaubt zur Schule ging …) Aber um Knaben zu erziehen braucht man offenbar einen Schwanz. Mir als Lehrerin wird die Suggestivfrage gestellt, ob ich nicht auch mehr Mühe mit den Buben im Unterricht hätte. Klar und deutlich: Nein – Jedenfalls nicht in einem höheren Ausmass, als es auch die männlichen Lehrer beklagen. Ich trete ihnen als Mensch gegenüber und erwarte das Gleiche von Mädchen und Buben. Gerade darum habe ich grösste Mühe damit, wenn Lehrer und Eltern für die Buben mehr Toleranz für negatives Verhalten einfordern wollen («Er wäscht halt nicht gern ab», «Er meint es nicht sexuell, wenn er Mädchen angrapscht» usw.). Bei Mädchen wird der Massstab sehr streng angesetzt. Unruhe und aufmüpfiges Wesen werden ihnen auf die harte Tour ausgetrieben. Schliesslich ist ihre ursprüngliche Rolle in der Koedukation, beruhigend auf die Knaben zu wirken!

Gross ist auch das Elend jener Knaben, die sich nicht ins Geschlechterklischee gefügt haben: Weinen wird immer noch aufs Härteste von Gleichaltrigen sanktioniert, man muss es gezwungenermassen heimlich tun. Wer sich mit Mädchen anfreundet oder nur schon nicht mitmacht beim Mädchen-Triezen, ist ein Wiiberschmöcker. Kommt ein introvertierter Bub vom Kindsgi heim und lässt den Kopf hängen oder verzieht sich mit einem Buch, so schleppt man ihn ins Hockey, zum Karate, in die Pfadi. Damit er merkt, wie toll Herumtoben, Kämpfen und Rangeln sind. (Und damit kein Weichei – oder gar Schwuler? – aus ihm wird.) Später wundert sich dann niemand mehr, dass die Knaben kein Interesse am Stillsitzen, Lesen und Gefühle-Respektieren haben, denn: Es sind eben Testosteron-gesteuerte kleine Männer.

Für den Hass, den viele Bubengruppen über die Mädchen ergiessen, hat man jetzt eine praktische Erklärung gefunden: Sie hassen es, von der Geburt bis zur Volljährigkeit nur von Frauen erzogen zu werden und lassen diesen Frust an den Mädchen aus. Ich bin erstaunt über solch handgestrickte Tiefenpsychologie. Immerhin rufen die BubenpädagogInnen Männer zu mehr Präsenz im Klassenzimmer auf. Der Ruf verhallt jedoch ungehört. Emanzipation – selbst jene der Männer – ist offenbar Frauensache.