Sie werden das nicht verstehen, aber: Fast bin ich froh, dass das Schulhaus Buhnrain wieder in den Medien ist. Diesmal mit einem Fall von sexueller Belästigung. Was mich daran so froh stimmt: Den Mädchen wurde auf Anhieb geglaubt! Die Eltern erstatteten Anzeige! Die betreffenden Knaben wurden per sofort dispensiert! Obwohl es «nur» Belästigung war!
Nach allem, was zu lesen war, hat das Buhnrain damit wirklich einen grossen Fortschritt gemacht, und das im Zeitraum von gerade mal einem Jahr. Die Lehrerschaft musste wohl gehörig umdenken. Sie musste die einseitig permissive Haltung ablegen, die unsere Gesellschaft sonst immer noch prägt. Wie einfach ist es ja, unpassendes Sexualverhalten zu ignorieren («nicht in meiner Stunde vorgefallen»), zu bagatellisieren («Wir waren doch auch mal jung») und zu entschuldigen («Das ist halt der Sexualtrieb»). Die Lehrerschaft musste sich kundig machen: Wo sind denn eigentlich die Grenzen? Denn vieles, was gerne als Rauferei, Blödelei usw. geduldet wird, muss eigentlich als Übergriff, als Vorstufe davon oder zumindest als ungute Entwicklungsrichtung taxiert werden. Es ist eben nicht in der Natur, geschweige denn in unseren Gesetzen festgeschrieben, dass sich das eine Geschlecht zu Lasten der Integrität des anderen Geschlechts übermässige Freiheiten herausnehmen darf. Die Schule musste sich auch ganz konkrete Handlungsmaximen geben: Wie vermitteln wir den Schülern die neuen Grenzen? Wann und wo schauen wir besonders gut hin? Wie greifen wir ein? Wie behandeln wir Klagen von mutmasslichen Opfern? Was machen wir mit mutmasslichen Tätern? Wie gehen wir mit den Eltern der Betroffenen auf beiden Seiten um?
Man mag mir jetzt ankreiden, dass ich eine Tat als Fakt hinstelle, wo doch erst eine Anzeige und noch keine Verurteilung erfolgt ist. Aber. Wenn Sie wüssten, wie zögerlich in solchen Fällen überhaupt Anzeige erstattet wird! Bis nur mal jemand dem Opfer zuhört oder glaubt. Dann haben die Eltern des Opfers Angst vor Repressalien und fürchten um ihre soziale Stellung im Quartier. Dann machen die Eltern der mutmasslichen Täter entweder Druck («Anwalt!») oder auf Mitleid («Vorverurteilung!») oder auf Gegenvorwurf («Schlampe!»). Dann prüft der Kinderschutz genau, was allenfalls der Klagepunkt sein könnte und ob eine Anzeige überhaupt Chancen hat. Wenn ja, brauchts zur Verurteilung ein Motiv, ein Geständnis oder erdrückende Beweise und eine Schuldfähigkeit des Täters.
Ausserdem regelt das Gesetz auch hier nur das Minimum; doch das Tolerierbare hört – insbesondere an einer öffentlichen Erziehungsstätte – schon eine geraume Weile vor dem Strafbaren auf. Es gibt eine ganze Bandbreite von inakzeptablem Verhalten, das unterbunden werden muss, auch ohne dass es zu einer Anzeige kommt! Die Schule muss die Messlatte höher ansetzen als das Gesetz und auch dann eigene, dienliche Schritte einleiten, wenn niemand angezeigt oder verurteilt wird. Und darum: Chapeau fürs Buhnrain!
Wirklich froh bin ich auch, dass in Zürich offensichtlich der Rahmen der pädagogischen und gesetzlichen Massnahmen so gesteckt ist, dass damit tatsächlich eine Verbesserung erzielt werden kann – wenn man wirklich will. Auf Knutschverbote und ähnlich rigiden Blödsinn können wir darum weiterhin getrost verzichten!