Hingehen

Als Mutter eines Mädchens bin ich die Eigentümlichkeiten der Kindermode gewohnt. Über Pink und Rüschen in der Mädchenabteilung wie auch über Monster- und Waffensujets in der Knabenabteilung wollen wir mal hinwegsehen. Bemerkenswert sind die Grössen. Kinderkleider gehen ja nach Körpergrösse. Grösse 140 passt also für 140 cm grosse Kinder. So würde man meinen. Tatsache ist aber: Für Knaben ist die 140 immer etwa eine Grösse grösser geschnitten als für Mädchen. (Mädchen sind eben aus Prinzip kleiner, selbst wenn sie gleich gross sind.) Noch krasser unterscheiden sich die Umfänge: Um in die Grösse hineinzupassen, die von der Körperlänge her gegeben wäre, müsste ein Mädchen superschlank, ja geradezu mager sein. Knabengrössen sind in der Breite wesentlich grosszügiger geschnitten. Das ist natürlich paradox. Denn Mädchen sind früher reif und bleiben kleiner als Knaben. Ein durchschnittliches Mädchen ist bei Grösse 164 fast ausgewachsen. Es kann in der Pubertät sein und die geschlechtstypischen 30 Prozent mehr Körperfett bereits angesetzt haben. Ein gleich grosser Knabe ist meist noch nicht ausgewachsen, schlanker und hat noch keine sekundären Geschlechtsmerkmale wie etwa breite Schultern. Also müsste es genau umgekehrt sein mit den Kleidergrössen. Aber: Früh übt sich, was eine Anorektikerin werden will. Ein permanent schlechtes Selbstgefühl in zu knappen Kinder- oder schlecht sitzenden Frauenkleidern hilft dabei enorm.

Überrascht hat mich die Migros: Im Regal mit den Kinderkleidern hängen doch tatsächlich wattierte BHs der Kindergrösse 128. Büstenhalter – für welche «Büste» denn? Es ist ja noch keine da. Stattdessen Schaumgummi. Wozu? Damit sich an der Stelle, wo 8-jährige Mädchen sich in nichts von 8-jährigen Knaben unterscheiden, etwas wölbt. Sollen Menschen als Kinder nicht einfach Kinder sein? Sollen sie schon in einem Alter, da ihr Geschlecht körperlich unauffällig ist, sexuelle Merkmale zur Schau tragen? Ich frage mich, wem das dient: Wessen Blicke sollen auf die Busenattrappe gelenkt werden; wer genau soll sich daran erfreuen? Ist das nicht einfach oberpeinlich für die armen Mädchen, die sich vielleicht so lange für cool halten, bis sie von anderen Kindern als Nutte ausgelacht oder von der Primarlehrerin schonend angehalten werden? Ich frage mich aber auch, was für Mütter das kaufen (Migros hängt ja wohl kaum unverkäufliche Ladenhüter ins Gestell.) Merken sie nicht, wie sie ihre Töchter frühsexualisieren? Oder merken sie es und finden das gut?

Ich weiss nicht, ob Sie mir folgen können, aber für mich hat dies hier einen Zusammenhang mit der allgemeinen gesellschaftlichen Situation der Frauen. Wer einmal begriffen hat, dass sie das andere, das zweite Geschlecht hat, dass sie ursprünglich unpassend ist und erst durch Manipulation richtig wird, dass ihre primäre Aufgabe das Begehrtwerden und Sich-Kleinmachen ist – die wird sich auch drein schicken, dass ihre Domäne das Haus ist, dass ihr Lohn einfach kleiner ist und dass – egal wie viel sie leistet – stets ein anderer der Chef ist. Unsinnige, willkürliche, erzwungene Unterscheidungen im Namen des biologischen Geschlechts – das sind im Wortsinne Diskriminierungen. Aber heute will ja keine mehr diskriminiert sein. Oder doch? Hingehen und nachsehen – am 14. Juni!