Kein Erbarmen

Grosser Wirbel in den Medien um grundlos prügelnde Jugendliche. Schuldige sind schnell gefunden: gewaltbereite Ausländer. «Zum Glück» gibts auch Schweizer Täter. Man muss doch nachdenken und findet Erklärungen in Richtung Entgleisung von der friedfertigen Schweizer Kultur. Gewalt als Ventil für angestauten Frust, irgendwie legitim und entschuldbar – je nach Schwere der Umstände. So vermuten wir Brutalo-Games nur in verwahrlosten Kinderstuben, die abstumpfende Droge Tilidin wird als Muslim- oder Hooligan-Phänomen eingestuft, Dreinschlagen kriegen nur Machokinder vorgelebt. Das trifft alles irgendwie zu – und trifft es doch nicht im Kern. Die rechtschaffene Empörung über Schläger, die wehrlos am Boden liegende Opfer noch in den Kopf treten, ist verlogen. Denn wir sind eine erbarmungslose Gesellschaft. Unsere Hunde beissen den Letzten nicht zu knapp. Solidarisch sind wir mit den Siegern.

Beispiel Arbeitslosenkasse: Denken wir an einen Versager, dessen voller Lohn nicht für die ganze Familie reicht. Also geht er nachts noch putzen –  völlig legal, versteht sich, und er bezahlt auch auf diesem Zustupf noch Sozialabzüge. Dann wird er arbeitslos und muss mit vier Fünfteln seines Verdienstes auskommen. Aber halt! Nicht des gesamten Verdienstes, denn das Arbeitslosengeld wird nur mit der 100-Prozent-Stelle berechnet. Es nützt nichts, dass einer zu über hundert Prozent Abgaben bezahlt hat. Man kann eben nicht mehr als hundert Prozent arbeitslos sein, das versteht doch jedes Kind. Wer nicht mit einem Job mehr verdient hat, als man zum Leben braucht, muss hierzulande noch Arschtritte hinnehmen.

Oder Mobbing. Das wird gerne verstanden als Attacke von (ausländischen) Prolos auf brave (Schweizer) Kinder. Eine neue, gerne ignorierte Studie zeigt aber: Mobbing ist die Vorstufe erfolgreichen Leithammelverhaltens. Der wahre Mobber ist ein Kind von hohem sozialem Rang, das meist positiv auffällt. Es hat viele Freunde, die es bewundern. In der Gruppe zieht es unbemerkt die Fäden, nutzt und festigt seine Alpha-Stellung, indem es die Gruppendynamik subtil gegen einen Unterhund richtet. Das weniger geschickte Opfer versucht es leider seinerseits mit offenen Attacken gegen Schwächere und wird prompt als Mobber identifiziert. Der aggressive Unterhund hat keine Sympathien, der Alpha-Mobber geht ohne Strafe aus. Treten gegen Schwache nützt schon im Kindergarten dem eigenen Prestige.

Oder die Ehe. Zweckehen gabs schon immer: Charles heiratete Diana ohne Liebe; standesgemässe Ehen wurden seit je arrangiert, Frauen nach der Höhe der Mitgift gewählt; oder man lebt bewusst im Konkubinat, um der «Ehestrafe» zu entgehen, verlegt den Wohnsitz, um Erbschaftssteuer zu sparen und was der Kniffe mehr sind. Man darf aber nicht: aus reiner Nächstenliebe ein armes Ausländerschwein heiraten; als unbewilligte Ausländerin sich in der Schweiz verlieben. Wer in äusserster Not seine Seele verkauft, sich der Möglichkeit beraubt eine Liebesehe zu führen oder Kinder zu haben, und zum nackten Überleben eine Aufenthaltsehe eingeht – den prügelt man aus dem Land.

Ohne Erbarmen.