Liebe Nicole Althaus!

Bevor ich mich Ihren Fragen widme, will ich Ihnen einmal meinen Dank aussprechen: Es ist schön, jede Woche in der «NZZ am Sonntag» Ihre geschätzte Kolumne «51 Prozent» zu lesen, mit der Sie mit feministischen Gedanken ein wenig lila Grün ins gesetzte Grau dieser Qualitätszeitung bringen.

Zu Ihren Fragen komme ich gleich, nur muss ich noch anmerken, dass Sie am 9. November implizit Ihr Licht unter den Scheffel stellten, als Sie erklärten, dass «der Feminismus so chic und politisch korrekt geworden ist wie eine vegane Tasche von Stella McCartney». Das war vielleicht nicht Ihre Absicht. Sie wollten kaum die Einmaligkeit Ihrer Position schmälern – als Feministin in einer solch traditionellen Männerbastion, wie es die Chefredaktion einer Nachrichtenzeitung auch heute noch ist – sondern vielmehr beklagen, dass es Ideologie sei, wenn man nicht nur alles durch die feministische Brille betrachte, sondern auch noch alles auf diesen Blickwinkel reduziere. Dazu meine ich aber: Als Ideologie könnten auch jene herrschaftlichen Kräfte bezeichnet werden, die in Zeitgeist und Mainstream unerkannt wirken, weil der kritische Blick sie noch nicht durchdrungen hat – etwa die grundsätzliche Dominanz männlicher Lebenszusam­men­hänge in der als geschlechtsneutral und wertfrei gepriesenen neoliberalen Markt­wirtschaft.

«Regen Sie sich über meine Fragen auf? Wenn ja, wieso?», fragten Sie also im Zusammen­hang mit einer Berufswahl-Kampagne von Plan Schweiz, die aus Mädchen «starke Frauen» machen will, u. a. in traditionellen Männerberufen. «Und warum ist es emanzi­pierter, Schreinerin zu werden als Coiffeuse?», oder wieso gilt es als Retraditionali­sierung, wenn Frauen Teilzeit arbeiten und ihre Kinder selber betreuen wollen? Hm! Mein erster Antwortreflex wäre: Weil Männer diese überaus wichtigen gesellschaft­lichen Bereiche noch nicht mit ihrer Präsenz aufgewertet haben? Nein, zu polemisch. Eher so: Vielleicht vermischt sich in der Warnung vor der «Frauenfalle» das berechtigte emanzipatorische Anliegen, auch Frauen an der Welt teilhaben zu lassen, mit der neoliberalen Ideologie des «Adult-Worker»-Modells, wonach Frauen bei der Arbeit das Gleiche zu leisten hätten wie Männer – unbesehen ihrer privaten Gratisarbeit und der fortbestehenden Diskriminierungen bei Lohn, Aufstiegschancen und Renten. Dass die traditionell weiblichen Betätigungsfelder aus feministischer Sicht heute ebenso anspruchs­voll und wichtig erscheinen wie die männlichen, hat ja leider nichts an ihrem tieferen Marktwert geändert. Auch die schlecht bezahlte Coiffeuse, Hortleiterin oder Pflegerin muss aber Leistung bolzen. So führen die «wertschöpfungs­schwachen», personenbezogenen «Frauenberufe» (solange man sie Marktkräften überlässt) tenden­ziell in eine Abwärts- und Abhängigkeitsspirale aus Unterbezahlung und Überbelastung. Das wünschen wir keiner jungen Frau für ihre Zukunft.

Was also Mädchen für die Berufswahl raten? Ich würde sagen: «Nutze dein Hirn und folge deinem Herzen, bleibe kritisch und werde Feministin!». Und Sie?