Neulich auf der Post

Die Post macht sich gerade mit dem Verkauf der Postfinance-Kundendaten zu Werbezwecken unbeliebt. Natürlich ist es ärgerlich, wenn man zuerst genötigt wird, der Preisgabe zuzustimmen und erst hinterher die Gelegenheit erhält, sie abzulehnen. Die abgebrühte Konsumentin jedoch fährt die Strategie: Je aggressiver die Werbung, desto kategorischer die Konsumverweigerung. Anders in der Schalterhalle: Hier ist man der Geschäftemacherei schmerzhaft physisch ausgeliefert.

Immerhin die Kundschaft im Kindergartenalter schätzt den Gemischtwarenladen auf Kniehöhe. Ich erinnere mich einer Episode mit meinem Kind, das während der Wartezeit ein permanentes Schreikonzert veranstaltete, weil es Süsses wollte. Eine Mitkundin legte mir ans Herz, einfach nachzugeben, damit endlich Ruhe sei. Ich aber war stolz auf meine gelungene Verweigerung und meine Contenance. Als ich am Schalter fragte, ob das Personal nicht von ständigem Kindergequengel gestresst sei und vielleicht bei der Arbeitgeberin intervenieren wolle, bekam ich zur Antwort, ich hätte eben mein Kind nicht im Griff.

Einmal wollte ich wirklich etwas im Postshop kaufen, das sogar mit dem Kerngeschäft der Post zu tun hat: nämlich eine Briefwaage. Das war dumm von mir. Denn wenn mir die Post schon den Gang ins Haushaltwaren-, Lederwaren-, Spiel-, Papeterie- oder Telefoniegeschäft erspart, kann ich kaum erwarten, dass sie auch noch postrelevante Artikel verkauft. Eigentlich ist es eine grosse Gnade, dass sie nach wie vor Briefmarken feilbietet. Wie auch die Einhaltung der Zustellfristen auf purer Gnade beruht. Wer etwa meint, A-Post komme auf jeden Fall am nächsten Tag an, wird vom Personal darauf hingewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit mit einem Einschreiben à sechs Franken steigt, wenngleich nur eine Expresssendung garantiert zielführend ist – nach zwölf Uhr Mittags für schlappe zwanzig Franken zu haben.

Ein andermal, im Provisorium der Sihlpost, kündigte mir das elektronische Nummernsystem eine längere Wartezeit an. Ich war müde und wollte mich setzen, konnte aber keinen Stuhl erblicken. Auf meine Nachfrage sagte der integrierte Postfinance-Beamte aus seiner geräumigen Verkaufsinsel heraus: «Klar haben wir eine Sitzgelegenheit: Da hinten.» Und tatsächlich: In der Ecke hinter seinem Büro-im-Büro, durch einen kaum schulterbreiten Durchschlupf zwischen Geldautomaten und Vitrinen zu erreichen, fand sich ein einziger Holzstuhl. Erinnerungen an die Primarschule wurden wach, nur die Eselsohren fehlten. Als derart von der Gemeinschaft der Stehenden abgesonderte Sitzkundin konnte ich mit geringfügigen Verrenkungen über Schaukästen und Plakate hinweg sogar die Anzeigetafel erspähen, um nach lockerem Hindernislauf an Verkaufsgestellen und Stehkundschaft vorbei gerade noch vor Erlöschen meiner Nummer den Schalter zu erreichen. Der freundliche Angestellte buchstabierte hilfsbereit den Namen des Fillialleiters, bei dem ich mich beschweren wollte («Was ist mit Kranken? Mit Alten, Schwangeren? Sind das alles Aussätzige?!»). Empathisch sinnierte er in den  vollgerümpelten Schalterraum hinein: «Ich verstehe Ihren Ärger. Aber es ist sicher keine Absicht dahinter. Es liegt wohl einfach nur daran, dass wir hier zu wenig Platz haben.»