Manchmal weine auch ich der alten Etikette nach. Der Verlust altehrwürdiger Rollenprotokolle schmerzt mich immer dann besonders, wenn eine neue Bundesrätin gewählt wird. Zu gerne hätte ich einmal in der Schweizer Illustrierten als Auftakt zu einer Homestory gelesen: «Herr Bundesrätin Widmer-Schlumpf, wie fühlt es sich an, als Gatte einer Staatsfrau plötzlich im Rampenlicht zu stehen? Haben Sie da noch Zeit für die Familie, oder werden Sie einen Kinderknaben engagieren?»
Im Übrigen bleibt auch im neuen Jahr so vieles beim Alten. So steht 2008 ja ganz im Zeichen des Fussballs. Man könnte meinen, es sei im Kleinen ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung getan, indem auch den Mädchen zugestanden wird, sich für diesen Sport zu begeistern. Mädchen spielen heute (wie schon in meiner Kindheit) ebenfalls Fussball, denn an Grümpelturnieren müssen die Mannschaften meist gemischt sein. Ich glaube trotzdem, dass dies ein gutes Beispiel abgibt, wie eine Gleichberechtigung nur vorgegaukelt wird. Denn ein Knabe kann sich viel weit gehender mit den Akteuren im Fussball identifizieren; er kann davon träumen, selbst ein Star zu werden, und wenn das Talent nicht reicht, so kann er doch in der x-ten Liga im Kleinen aktiv nachvollziehen, was seine Vorbilder im Grossen leisten. Mädchen müssen relativ bald einsehen, dass sie im Fussball (wie auch in den meisten anderen Mannschaftssportarten) auf dem falschen Dampfer sind. Es gibt kein professionelles Mädchen-und-Frauen-Fussball-System. Mädchen müssen sich auf den Amateurstatus beschränken oder auf viel unbedeutendere Sportarten wie Volleyball ausweichen. Wobei sich da besonders schön zeigt, dass die Rolle der Frau noch immer die ist, den Männern mit körperlichen Reizen zu gefallen: Damit genügend Sponsoringgeld hereinkommt, darf das Höschen der Beach-Volleyballerinnen am Bein nicht breiter als 5 cm sein … Ein reines Mädchen- oder Frauen-Spassprojekt mit einem der EM vergleichbaren Millionenbudget an öffentlichen Geldern ist bislang schon gar nicht in Sicht.
Schon höre ich den Einwand, die Mädchen seien an ihren Beschränkungen selber schuld, weil sie sich ihre Rolle selber ausgesucht hätten (oder wahlweise: diese Unterschiede lägen in der Natur begründet). Tja, da möchte ich mit einer typischen Episode aus dem Leben eines Mädchens kontern. Es war ein grosser Fan von Linard Bardill und hegte seit langem den Berufswunsch Pirat. An einem Konzert des Sängers wurden die Kinder zum Mitmachen aufgefordert; man brauche wagemutige Piraten, um in Ohnmacht fallende Prinzessinnen zu retten. Jedem Prinzessinnengehabe abhold meldete sich das Mädchen wagemutig als Pirat – es hatte sogar Piratenhosen und ein Kopftuch an. Aber es musste erfahren, es besitze das falsche Geschlecht. Da es sich weigerte, auf Prinzessin umzusatteln, musste es die schlappe Piratennummer der Knaben als Zuschauerin verfolgen.
Ich persönlich will an den Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis nicht mitschuldig sein. Fürs neue Jahre nehme ich mir deshalb vor, weiterhin beharrlich am Nerv des Männlichkeitswahns zu sägen. Immerhin schrieb Erich Fried in einem Gedicht an Meinesgleichen: «Ich liebe jeden Zahn an ihr, und auch ihren runden Griff». Ja, da schnurrt der Motor Ihrer
Nervensäge Müller