Spendabel im Advent?

Um Weihnachten herum – so las ich kürzlich in der Zeitung – plagt die Menschen das schlechte Gewissen, weil es uns hier so gut geht. Deshalb klingeln auch die Kassen aller Hilfsorganisationen in dieser Zeit am fröhlichsten. Und darum werden wir im Dezember besonders (auf)dringlich um Spenden angegangen. Manchmal finden wir das lästig. Vor allem, wenn die eine Zuwendung bei der wohltätigen Organisation kurz darauf zu weiteren Anfragen derselben führt. Wenn die mutmasslich spendable Adresse ihre Runden macht und Bettelschreiben von immer neuen Hilfswerken auslöst. Anfänglich habe ich mich über diese vermeintliche Unverschämtheit aufgeregt, so à la: «Kaum gibt man den kleinen Finger, wollen sie die ganze Hand.»

Dann habe ich beschlossen, Ratio walten zu lassen. Denn wenn es gewöhnliche Menschen gibt, die 30 Prozent ihres Einkommens spenden, wenn reichste Amerikaner darum bitten, besteuert zu werden, dann ist sicher auch bei mir noch Spielraum vorhanden. Ich halte es jetzt so: Keine Spenden aus Schuldgefühlen heraus mehr. Kein Groll gegen Bettelbriefe mehr. Sondern Anfang des Jahres spende ich eine Summe, die ich im Jahresbudget zwar spüre, aber dennoch verschmerzen kann. Anlässlich einer Katastrophe habe ich den Betrag auch schon verdoppelt. Meine Spenden notiere ich in einer Liste, um den Überblick zu behalten. Und so gehe ich mit dem guten Gefühl durchs Jahr, das finanziell mir Mögliche getan zu haben. Wenn ich an Weihnachten einer berührenden Aktion über den Weg laufe, habe ich immer noch die Wahl, darauf einzugehen. Und sonst: «Danke, hab schon gespendet».

Auch mit BettlerInnen habe ich Frieden geschlossen. Denn hierzulande werden Menschen genauso aus dem Wirtschaftssystem hinausbugsiert, ausgebeutet, prekarisiert. Geht man durch die Stadt, wird man oft von den immer gleichen Gestalten um Münz angegangen. Mich hats immer genervt, dass ich quasi auf Kommando meine Brieftasche herzeigen soll. Nun halte ich ein Hämpfeli Münz in der Hosentasche, das ich hergeben kann. Leuten, die nach organisierter Bande aussehen (z.B. mit mitleiderweckendem Kind), gebe ich nichts. Bei Junkies hatte ich am längsten Zweifel, wie ich vorgehen sollte. Einmal hatte ich keinen einzigen Stutz dabei, aber einen Haufen Cumulus-Bons, die ich immer einzulösen vergesse. Sie wurden dankbar angenommen, und so biete ich die nun Junkies an, in der Hoffnung, es werde Essen oder Unterwäsche oder sonstwas Nützliches damit gekauft.

Bettelbriefe betrachte ich als Informationsquelle. Statt sich diffusem Unrechtsempfinden und unartikuliertem Ärger über Multis, Banken und Absahner zu ergeben, kann man aus Spendenbriefen oft differenzierte Informationen beziehen über die lokalen Ausprägungen und vielgestaltigen Auswirkungen des globalen Casinokapitalismus mit seiner Wegwerfmentalität den Menschen und der Erde gegenüber. Denn dies ist ja die Kehrseite unseres Reichtums. So mancher Denkanstoss hat mich auf diesem Weg erreicht. Nicht nur helfen, auch Wissen betrachte ich als staatsbürgerliche Pflicht, als Voraussetzung für fundierte Kritik, fürs Mitreden und Mitgestalten. Lieber will ich es genauer und konkreter wissen, lieber selbstgesteuert handeln als ein schlechtes Gewissen zu haben – und das nicht nur im Advent.