Traurige Kartoffel

Schnüff, macht die Kartoffel*, packt ihr Bündeli und wandert aus. Sie ist soeben des Landes verwiesen worden. Ihr Erbgut ist zuwenig schweizerisch, zuwenig reinrassig und zuwenig hochgezüchtet. Traurig guckt die Corne de Gatte an ihrem delikaten Bäuchlein herunter und wischt sich die Tränchen aus den vielen Augen. Wer gibt ihr jetzt Asyl? Muss sie gar ins Gefängnis? (*Maskottchen der Kampagne «Vielfalt für alle!»)

Der Bund verordnet Grossreinemachen bei den Gemüsesorten. Wie bei den übrigen Kulturpflanzen soll nun auch hier alles verboten werden, was nicht im Sortenkatalog steht – um mit der EU gleichzuziehen. Verboten heisst: Nicht einführen, nicht landwirtschaftlich anbauen oder verkaufen, die Samen nicht verbreiten, ja nicht mal verschenken. Bedingung für die Aufnahme in den Sortenkatalog ist die genetische Reinheit. Diese kann jedoch bei vielen Kulturpflanzen nur gewährleistet werden, wenn sie unter strengen Bedingungen vermehrt werden: Man muss sie kontrolliert bestäuben, um zufällige Einkreuzungen zu verhindern. Wer Gemüse anbaut und davon einiges im Feld stehen lässt, um es abblühen zu lassen und im nächsten Jahr wieder anzusäen, kann das nicht garantieren.

Der Sortenkatalog begünstigt ertragreiche Hybriden, also kontrollierte Kreuzungen von zwei sortenreinen Arten, die eine neue Art ergeben, wie z.B. aus Pferd und Esel der Maulesel entsteht. Wie dieser sind auch viele Hybride Pflanzen steril, vermehren sich also sowieso nicht. Die Nachkommen einer fertilen Hybride hingegen sind nur noch zu 50% gleich wie sie selber, und damit nicht rein genug. Eine englische Saatgutfirma sagt, worum es auch noch geht: «Jeder kann eine gewöhnliche Sorte pflanzen, davon Saatgut gewinnen, dieses wieder säen oder in grösserem Massstab verkaufen. Ein Pflanzenzüchter kreiert mit viel Aufwand eine neue Sorte, mit der aber – wenn es keine Hybride ist – auch alle anderen Geld verdienen können. Saatgut von einer Hybride jedoch bringt nicht wieder die gleichen Pflanzen hervor. Die Sorte kann nur durch erneute Kreuzung der reinen Linien gewonnen werden – und nur der Züchter besitzt die notwendigen reinen Linien.»

Die Bäuerin und der Heimgärtner müssen also alljährlich neues hybrides Saatgut kaufen. Und zwar beim Züchter, der in Wirklichkeit ein Agromulti ist, wie z.B. Monsanto. Institutionen, denen etwas an der Biodiversität gelegen ist, wie Pro Specie Rara oder biologische Samengärtnereien, züchten mit viel Aufwand eben gerade keine Hybriden, denn sie wollen ja seit langem bestehende und vom Aussterben bedrohte Sorten durch Anbauen und Verkaufen erhalten. Diese offen abblühenden Sorten sollen jetzt stark dezimiert werden. Nur wenn die Sorte einen Züchternamen hat, wenn sie nachweislich in der Schweiz gezüchtet oder hier lokal verankert ist, darf sie angebaut werden. Was sonst noch blüht und fruchtet (also rund die Hälfte) wird verboten bzw. in der Genbank gebunkert. Dieser restriktive Sortenkatalog des Bundes ist ein Schuss in den Ofen. Helfen Sie originellen, aromatischen und historischen Gemüsen! Kaufen, essen, pflanzen Sie sie! Lesen Sie weiter bei prospecierara.ch und unterschreiben Sie den Protest unter vielfalt-fuer-alle.ch! Die traurigen Kartoffeln, die Bienen und Ihr Gaumen werden es Ihnen danken.