Kasten

Die Schweiz führt das Kastensystem ein. Es gibt drei Kasten: die Untermenschen, die Obermenschen und die Übermenschen.

Die Untermenschen sind die unberührbare Kaste. Damit niemand sie versehentlich berührt, werden sie eingesperrt. Sie existieren gar nicht richtig, sondern falsch, vor allem am falschen Ort. Für ihre Existenz gibt es keinen Beweis – ausser ihren Leib; aber der zählt nicht. Denn es existiert nur richtig, wer es schriftlich beweisen kann. Mündlich kann ja jeder erzählen, was er will. Und die Untermenschen lügen prinzipiell. Alle. Wenn also einer kommt und sagt, er ist der XY aus Z, dann ist er eben in Wirklichkeit nicht der XY aus Z. Das gilt so lange, bis er das Gegenteil bewiesen hat. Und bis dahin ist er kein richtiger Mensch. Er hat darum auch keine Bedürfnisse. Seine Ansprüche sind nahe bei null. Er kommt mit praktisch nichts aus, was beweist, dass er eigentlich auch praktisch nicht existiert, nicht nur theoretisch nicht. Zur praktischen Nichtexistenz gehört, dass er grundsätzlich nichts fühlt. Z. B. verliebt er sich nie. Er möchte auch keine Familie gründen. Seine seelischen Vorgänge begrenzen sich auf die pure Berechnung. Alles, was der un-existente Untermensch tut oder sagt, geschieht aus Berechnung mit dem einzigen Zweck, sich eine Schein-Existenz zu erschleichen. Wer aber so nahe an theoretischer und praktischer Nichtexistenz lebt, hat auch kein Recht auf Rechte. Er darf deshalb gar nicht existieren, jedenfalls hier nicht, darf keine Ansprüche haben, darf sich nicht verlieben und darf keine Familie gründen. Er soll sich nicht fortpflanzen, weil sich damit sein Unrecht fortpflanzt. Für ihn gilt nur ein Recht: das der Nichtexistenten, dessen Paradigma ist, dass die Unschuldsvermutung ausser Kraft ist. Denn wer nicht existiert, kann auch nicht unschuldig sein, ist also prinzipiell schuldig. Seine Erbschuld ist die körperliche Anwesenheit bei gleichzeitiger rechtlicher Nichtexistenz. Manchmal verschwindet der Untermensch wieder, um Beweise für seine Existenz zu beschaffen, aber man hört nie wieder etwas von ihm. Das ist der Beweis, dass es ihn so eben nicht gegeben hat.

Die Obermenschen sind ganz normale Menschen, so wie du und ich. Sie dürfen eigentlich alles. Da sein, dort sein, herumreisen, arbeiten, Geld verdienen, sich verlieben, heiraten aus Liebe, heiraten aus Berechnung, heiraten aus gesellschaftlichem Zwang, heiraten aus Geldgier, heiraten aus Machtgier, heiraten aus Sexgier, heiraten aus Tradition, heiraten aus Dummheit, sich scheiden lassen, Kinder haben oder keine Kinder haben usw. Das einzige, was der Obermensch – neben einigen allgemein gültigen gesellschaftlichen Verboten – nicht darf, ist sich mit Untermenschen einlassen. Wer mit unberührbaren Untermenschen Kontakt hat, lügt automatisch auch und verliert darum einen Teil seiner Rechte (Unschuldsvermutung, Familiengründung nach Wahl).

Übermenschen gibt es nicht viele. Eveline Widmer-Schlumpf ist aber ein leuchtendes Beispiel dafür. Ihr Wort ist Gesetz. Ihre faktische Wirkmacht ist umgekehrt proportional zu jener der Untermenschen. Während jene trotz faktischer Anwesenheit nicht existieren, braucht sie keine Fakten, weil ihre Rede Wirklichkeit erschafft. Zum Beispiel ihre Aussage, der Umgang mit den Untermenschen entspreche der Menschenrechtskonvention. Fakt!