Sind Lehrer retro?

Lieber Koni! Letzte Woche fragtest du, warum es schlecht sein soll, wenn Schüler können, was sie für die Lehre brauchen. Die Frage ging an die LehrerInnen in den Räten, die zugunsten einer ganzheitlichen Bildung wieder mehr Handarbeit an der Primar wollten. Darauf möchte ich gerne eine mögliche Antwort geben.

Ich sehe darin nicht den Wunsch, in die Fünfzigerjahre zurückzukehren. Entscheide für die Schule werden ja gerne anhand von Pilotprojekten gefällt. Tönt gut – aber: Für ein Pilotprojekt melden sich meist engagierte und interessierte Schulen; ist ihr Fazit positiv, muss das noch lange nicht heissen, dass sich alles auch kantonsweit anwenden lässt. Lehrer sind auch nur durchschnittlich begeisterungsfähige Menschen – sie können nicht jede politisch angeordnete Reform mit Feuereifer umsetzen. Sicher geben sie gern ihr Bestes oder mehr (Stichwort: Berufskrankheit Burnout), aber irgendwann ist auch mal Feierabend. Das ist ein Unterschied zur Projektschule, die positiv gefärbte Resultate oft geradezu herbeikrampft. Negative Teilresultate sind meist gar nicht vorgesehen. Findet man etwas gut und etwas schlecht, sagt man halt halbherzig ja. Mir scheint es kein grundlegendes Versagen der politisch aktiven Lehrerschaft zu sein, eine solche Entscheidung wenn nötig zu revidieren.

Das muss nicht a priori retro sein. Beim Fortschritt sollte ja auch die Richtung stimmen, und nicht alles, was nach Rückwärts aussieht, ist es auch. Während in den Fifties noch die Mama am Herd wartete, werden heute immer mehr Erziehungsaufgaben an die Schule delegiert. Gleichzeitig hat die damals noch gängige schwarze Pädagogik mit körperlichen Züchtigungen und seelischen Erniedrigungen zum Glück ausgedient. «Erziehung = Beziehung» ist bestimmt kein alter Hut, sondern die aktuelle Lehrmeinung. Dafür muss man der Lehrerschaft aber genügend Beziehungsräume zugestehen. Stunden mit andersartigem und sozialem Kontakt, in denen die SchülerInnen Persönlichkeit zeigen dürfen, sind dazu von grösstem Wert. Das ist kein Schmus, sondern da ist Pestalozzi mit seiner Forderung nach einer ganzheitlichen Bildung («mit Kopf, Herz und Hand») heute immer noch modern.

Wenn überhaupt die Schüler für «später» lernen – ein Credo, dass seit den Fünfzigern in Frage gestellt wurde – dann besteht doch dieses Später aus einem ganzen Leben: Wohl ist Arbeit elementar. Aber niemand garantiert bezahlte Arbeit für alle. Es ist wichtig und nötig, den Kindern hohe Sozialkompetenzen sowie Fähigkeiten in unbezahlter Arbeit wie Haushalt, Gemeinnützigkeit und: Freizeitgestaltung mitzugeben (und das ist nun mal nicht für alle der in meinen Augen überschätzte Sport). Wer mit sich selbst etwas anzufangen weiss, erträgt es vielleicht besser, wenn ihm «die Wirtschaft» den Zutritt zur bezahlten Arbeit verweigert. Damit rechnen wir heute wieder mehr als etwa in den goldenen Fünfzigerjahren.

Denn: Die Wirtschaft braucht gerade mal wieder keine ganzen Menschen, sondern ein paar wenige kluge Köpfe und viele Dumbos für schlecht bezahlte Tubelijobs, z.B. bei Aldi an der Kasse oder in der Ems-Chemie. Ohne Selektion kein Mehrwert. Genügend Lehrstellen sucht man hingegen vergeblich. Das scheint mir das grössere Problem, als dass eines Tages die Kinder zu dumm aus der Schule kämen. Dass die Lehrer da Gegensteuer geben, rechne ich persönlich ihnen hoch an.