Der Herbst

Was für ein Geräusch macht der Herbst? Tannenrauschen, Windheulen, Krähenkrächzen, Laubrascheln… – Manchmal, im Wald vielleicht, denken Sie, aber nicht in der Stadt, wo jedem Blättchen unter Geknatter und Getöse mit dem Laubbläser der Garaus gemacht wird. (Warum der Laubbläser so beliebt ist, ist mir neulich aufgegangen: Er wischt auch unter Autos tipptopp sauber, wo der Besen keine Chance hätte.) Zartbesaitete suchen also im Naherholungsraum Wald Entspannung, Ruhe und Herbstgeräusche. Im Sihlwald werden sie bitterböse enttäuscht. Denn hier wird nicht mit den Füssen im Laub herumgeraschelt. Wahrscheinlich ist dem Laub der Aufenthalt auf Waldwegen bei Strafe untersagt. Das Blatt, das sich nach alter Herbstlieder Sitte am Abend hübsch zur Ruhe betten will, wird spätestens am anderen Morgen gnadenlos per Benzinmotor wieder davongewirbelt. Stunden dauert das, Tage, Wochen – Mööoöööoööööoööööoööööh – bis endlich die ganzen Waldstrassen und -wege und Trampelpfade restlos vom Laub befreit sind. Schliesslich ist das hier keine Wildnis, sondern ein Wildnispark, bitteschön. Wer seinem kindischen Gelüst nach Laubrascheln unbedingt nachgeben muss, soll halt nebenaus treten. Aber nicht in der Kernzone des Naturschutzgebiets! Da würde sich das Wild erschrecken. (Kriegt das Wild eigentlich Kopfhörer, während auf seinen Wechselpfaden Laub geblasen wird?)

Was für eine Farbe hat der Wald? Grün, werden Sie sagen, wie die Blätter an den Bäumen. Im Frühjahr hell und leuchtend, im Sommer dunkel und schattig. Oder Braun, gerade im Herbst: rostbraun, erdbraun, braunschwarz. Und grau in allen Schattierungen von Rinde über Flechte zu Stein und Pilz. Diesen Herbst aber trägt der Wald – wenn er ein Naturwald ist wie etwa der Sihlwald – eine neue modische Farbe, nämlich stechend giftorange. Denn etwas müssen offenbar alle gesehen haben, die im Wald lustwandeln: kleine grellorange Pfeile am Wegesrand. Wahrscheinlich würden wir uns ohne dieses Pfeilgift glatt verlaufen. Vielleicht sind ja schon viele Menschen in den Sihlwald hineingegangen und nie mehr herausgekommen! Wichtig ist darum, dass man am richtigen Ende des Weges zu gehen beginnt, damit man der Pfeilrichtung folgen kann. Denn die Pfeile zeigen nur in eine Richtung, und da muss man langgehen. Also an der Endstation Sihlwald aussteigen und dann den Berg hinauf und oben links herum, und nach 10 Minuten von der Strasse weg auf diesen Trampelpfad (nicht auf jenen!). Ist aber alles kein Problem, denn die kleinen neonorangen Pfeile ziehen geradezu hypnotisch alle Blicke auf sich, so dass Sie bestimmt keinen auslassen werden. Und das war ja ihr ursprüngliches Ziel hier im Naturwald: Auf orange Pfeile zu starren und sich auf einem Parcours durch den Wald schleusen zu lassen.

Der Sihlwald allerdings findet Ihren Spaziergang hier trotz Laubbefreiung und Pfeilvorgaben immer noch eine reichlich verbummelte Zeitverschwendung. Ist Ihnen nicht klar, dass lebenslanges Lernen angesagt ist? Drum gucken Sie jetzt bitte auch noch pflichtschuldigst durch lauter läppische, von Bäumen und Gerüsten baumelnde Rahmen mit Nummern und Bankwerbung drauf. Und wenn Sie dabei nicht in die Schlucht gestürzt sind, so sagen Sie mir bitte, was es da Besonderes zu sehen gibt – ich habs nicht herausgefunden.