Freunde, damals

Ob ich mit Reni richtig befreundet war, weiss ich gar nicht so genau. Jedenfalls gefiel sie mir in der Primarschule, und sie wollte mich einmal besuchen kommen. Ich lud sie generös zum Essen ein. Zusammen nahmen wir den 1.5 km langen Weg zu mir nach Hause unter die Füsse. Vor dem trauten Heim verliess mich dann die Souveräne-GastgeberInnen-Allüre, und ich wollte Reni erst mal ankünden. Sie versteckte sich also hinter dem Elektro-Kasten, während ich zur Tür hineinging und beiläufig fragte, ob ich denn theoretisch jemanden zum Essen mitbringen könnte. Die Antwort war natürlich nein. Also schlich ich mich zum oberen WC hoch und rief Reni zum Klofenster hinaus Bescheid, dass sie leider nicht bei uns essen könne. Ich kann mich gar nicht an irgendwelche Unmutsäusserungen Renis erinnern. Wie mir scheint, nahm sie die Absage stoisch hin und ging den ganzen Weg allein zurück. Wer weiss, was sie zu Hause für eine Räubergeschichte erzählen musste, mit so einer Verspätung beim Mittagessen. Dieses Erlebnis hat zwar nicht zu einer Vertiefung unserer Freundschaft geführt, aber es hat sie auch nicht gröber beschädigt. Jedenfalls habe ich mich vor Reni nicht allzu sehr geschämt – und ich wurde auch weiterhin an ihre Geburtstage eingeladen. So unkompliziert war das.

Röbi wurde von anderen als mein Schulschatz bezeichnet, mir jedoch schien das alles halb so wild. Bestimmt aber war er schon als Kind ein Gentleman. Nur fiel das den meisten nicht auf. Mir auch nicht, obwohl er immer grosse Umwege in Kauf nahm, um mit mir nach Hause zu gehen. Ich fand ihn einfach nett und lustig. Er hatte einen ganz leichten Sprachfehler, eine Brandnarbe am Kinn und ziemlich viel Taschengeld. Eine ungünstige Kombination. Irgendwann war es plötzlich Mode, im Lädeli unterhalb des Schulhauses Süssigkeiten zu kaufen. Röbi erstand öfters einen ganzen Sack voll, etwa für einen Fünfliber. Das war ein Heidengeld für einen Primarschüler. Wie die Geier scharten sich alle um ihn, und bettelten ihm offensiv das Schleckzeug ab. Ich konnte nicht begreifen, warum er ausgerechnet jenen, die ihn immer hänselten, so grosszügig austeilte. Obwohl ich auch gerne etwas zu Schlecken gehabt hätte, hielt ich mich zurück. Er war doch mein Freund und nicht mein Süssigkeitenautomat, soviel hatte ich damals schon begriffen. Meist bekam ich dann auf dem Heimweg sowieso etwas. Einmal mussten wir Vorträge über ein Hobby machen. Röbi brachte eine in Öl gemalte Landschaft mit. Das war seine Leidenschaft mit elf Jahren: Ölmalen. Wir waren alle baff!

Reni begegnete ich später einmal am Tresen einer Apotheke. Sie war dort Lehrtochter, und ich kaufte für die Reinigung meiner ersten Wohnung Ammoniak. Da war der Kindheitslack schon ab. Sie war einfach jemand, den ich mal gekannt hatte. Röbi traf ich als Verkaufsleiter eines Schuhgeschäfts an der Bahnhofstrasse. Zwischen uns war keine Verbindung mehr, aber er: ausgesprochen eloquent und höflich – ein Gentleman eben.

Heute könnte ich meine Schulgspänli googeln oder im Facebook suchen. Das ist zwar lustig, aber nicht ohne Tücke. «Nur mal gucken», denkt sich eine – und schon nimmt es ihr den Ärmel rein! Doch davon später mehr …