Gemeinsame Sorge

Der Blick, Fachblatt für Kampagnen-Journalismus, wirft wieder einmal das ganze Gewicht seiner 200’000er-Auflage in die Waagschale für die «gerechte» Sache: die gemeinsame elterliche Sorge nach der Scheidung. Aber, aber, werden Sie einwenden, kann man denn ein Blatt ernst nehmen, das auf der ersten Seite oben Tote in Haiti betrauert und auf der gleichen Seite unten blutte Titten besabbert? Man muss, leider, man muss!

Denn der Blick hat ein grosses Publikum, das diese Zeitung im Glauben liest, was schwarz auf weiss stehe, müsse auch wahr sein. Zum Thema böse Frauen, die den Männern die Kinder rauben, lesen wir: Die eine ist in einer Sekte und rückt die Kinder nicht raus; die andere ist in psychiatrischer Behandlung und schlägt die Kleinen usw. Ein wahrliches Gruselkabinett, das uns geschiedene Mütter vertreten soll. Etwa so zutreffend, wie wenn der Durchschnittsvater mit Josef Fritzl in einen Topf geworfen würde. Repräsentativ oder alltagsrelevant ist hier wie an der ganzen Zwängerei der Väterlobby aber leider gar nichts. Schön wärs, wenn die Frauen soviel Macht hätten, um alle Ämter zu infiltrieren, damit bei Scheidung ohne Ansehen der Sache zu ihren Gunsten geurteilt würde.

Dass der Blick auf Beutezug geht, um auf dem emotionalen Schlachtfeld von Scheidungen Aas zu fressen, lässt sich noch verstehen. Dass das Parlament dem Druck einer einflussreichen, da männlichen Minderheit nachgibt, ist auch nichts Neues. Dass aber linke, sozial engagierte PolitikerInnen ins gleiche Horn stossen, schlägt dem Fass den Boden aus. Sie gehören vielleicht der exotischen Minderheit von 4 Prozent an, die sich die Familienarbeit paritätisch teilt. Wer in Geschlechterdingen so weit fortgeschritten ist, schafft wohl auch eine Scheidung ohne Rosenkrieg. Daher aber abzuleiten, alle Menschen könnten das, ist sträflich blauäugig. Der Alltag sieht anders aus, und zwar nicht so wie die Männerlobbys ihn darstellen.

Geldgierige Exfrauen sind ebenso wie solche, die die Kinder gegen den Mann aufbringen, eine kleine Minderheit. Weit mehr Exmänner verduften sang- und klanglos, ohne ihr Besuchsrecht wahrzunehmen, oder bezahlen ihre Alimente nicht. Ganze Amtsstellen zur Alimentenbevorschussung mussten deshalb eingerichtet werden. Anders als die Skandalblätter aus dem Jet-Set berichten, wird hierzulande kein Exmann je finanziell in den Ruin getrieben: Geht’s hart auf hart, so wird ihm das existenzsichernde Einkommen gelassen und sie muss auf die Fürsorge.

Natürlich, Kinder brauchen auch Väter – aber warum fällt das so vielen erst im Laufe der Scheidung ein? Tatsache ist: Kinderaufziehen war noch nie Herzenswunsch einer Männermehrheit. Diese Sorge haben sie eigenhändig und mit aller Macht den Frauen aufgedrückt. Die gebärden sich nun aber in ihrem Gärtchen zuwenig unterwürfig, und darum soll – nach dem Motto: wer zahlt, befiehlt – hier wieder mehr männliche Dominanz hergestellt werden. Warum sonst wird die gemeinsame Sorge ausgerechnet jetzt so gepusht? Wenn der Kampf angeblich Jahrzehnte gedauert hat – wärs da vor Einführung des Frauenstimmrechts 1971 nicht ein Leichtes gewesen, ihn zu gewinnen?

Von der Blickleserschaft erwarte ich nicht, dass sie politisch und historisch den Durchblick hat. Von unseren linken Frauen in den Kommissionen und Parlamenten aber schon!