An einer Wand der Post Wipkingen (selig) stand lange Zeit: «Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.» Mein Besserwisserinnen-Ich dachte dazu: Vielleicht hat der auch schon gewonnen – oder hats nicht nötig. Der Kampf als Lebensmaxime wirkt auf mich tötelig, verbissen, machoid – und irgendwie auch ein wenig wehmütig-romantisch eine Vergangenheit verklärend, in der ein Gegner noch klar umrissen war. Am Vorabend der Französischen Revolution konnte Schillers Räuber Moor noch gegen vergeistigte Autoritäten wettern, sich ekeln «vor diesem tintenklecksenden Säkulum» und «Pfui über das schlappe Kastratenjahrhundert» spucken. Nicht weniger testosterongeschwängert huldigten die Futuristen der Geschwindigkeit, verherrlichten den Krieg, «diese einzige Hygiene der Welt – den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes. Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören und gegen den Moralismus, den Feminismus und jede Feigheit kämpfen …»; heute fordern wiederum die Akzelerationisten eine Beschleunigung der Politik und monieren – leider in 37 langfädigen Paragrafen – «mit Lähmung der politischen Vorstellungskraft» sei «die Zukunft gecancelt», die Linke verharre in «folkloristischem Lokalismus»; sie aber wollten «die Zukunft neu konstruieren, aufknacken» (Tut das nicht weh?) Klingt jedenfalls irgendwie nach Trump: Egal wohin, Hauptsache anders und sofort …
Zukunftspläne haben ihre Tücken: Was geschieht wirklich, wenn an einem Rädlein gedreht wird? Dass etwa der Verkehr zunimmt, wenn man mehr Strassen baut, lernte die Welt the hard way und wenig hellsichtig. Oder wie gross ist der Hebel einer Massnahme tatsächlich? Man denke an die unvorhergesehen gigantischen Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform II. Und was für Trümpfe spielt man ungewollt einem Gegner in die Hand? Mit diesem Einwand zweifeln wohl viele Linke am Bedingungslosen Grundeinkommen. Neben aller Innovationsfreude ist daher auch eine gewisse Risikoscheu angebracht. Wie langweilig! Kein neuer Weg in Sicht. Frust. Ausharren im ungeliebten Zustand. Je länger das dauert, desto grösser wird die «kognitive Dissonanz»: Verhalten und Einstellungen weichen so stark voneinander ab, dass wir das eine oder andere angleichen wollen (also Revolution oder Resignation).
Das ist jedoch kein Schicksal. Statt dem fleischbetonten Kampf-um-des-Kampfes-Willen gibt es ein vegetarisches Ersatz-Menu, das Quorn-Schnitzel oder Spaghetti Napoli des politischen Engagements sozusagen. Man versammle dazu bei Menstruation (Nichtfrauen ersatzweise bei Vollmond) nur verwunschenes Zeugs (s. oben): Tintenkleckse und Kastraten (ersatzweise Transmenschen), Weiber, Kunst und Bücher; flüstere fünfmal feige ins Feuer: «Akademismus-und-Ethik … Feminismus-Lokalismus-und-Langsamkeit», und Zisch! und Husch! – schon erscheint das Menetekel. Es bedeutet: Wir müssen die kognitive Dissonanz aushalten. Wer im neoliberalen Neo-Patriarchat überleben will, ohne neoliberal oder patriarchal zu denken, muss genauer fragen, gründlicher analysieren und besser verstehen, wie es uns alle unterwirft. Das soll nicht als theoretischer Birrewix und Besserwisserei praktiziert werden, sondern als verbindende Reflexion und anerkennender Erfahrungsaustausch. Diese politische Praxis einer kollektiven Betroffenheit, z.B. unter Frauen, ist bereits ein erster, friedfertiger Schritt: gegen die neoliberale Hyperindividualisierung und in Richtung einer anderen Zukunft.