Schulfrust

Wer selber im Bildungswesen arbeitet oder dahingehend studiert, geht wahrscheinlich mit mir einig, dass einer der grössten Krankmacher der Jahrtausendwende nicht etwa die durch Kinderhändeschütteln erhöhte Ansteckungsgefahr mit Schweinegrippe ist, sondern der politisch und ökonomisch motivierte Reformeifer im Bildungsbereich. Mit viel Brimborium und wenig nachvollziehbarem Erfolg wird etwa der «Leistungslohn» für LehrerInnen durchgedrückt, das Berufsprofil der Sekundarlehrperson alle paar Jahre umgemodelt, deren Studium an Bologna und die Stundentafel der Volksschule an Pisa angepasst.

Wer hingegen selber die Elternrolle von schulpflichtigen Kindern innehat, stellt fest, dass die Reformlawine an einigen tatsächlich veränderungsbedürftigen Gebieten der Schule spurlos vorbeigedonnert ist. Einige zentrale Bildungsziele der Volksschule sind offenbar derart vage und offen umschrieben, dass man sich darunter schlicht alles vorstellen kann. So müssen die Gemeinden etwa für Blockzeiten und eine schulergänzende Betreuung sorgen, damit die Eltern zur Arbeit gehen können. In der Stadt Zürich gibt es darum ein nahezu flächendeckendes Netz von Horten, die eng mit der Schule verwoben sind. Das ermöglicht eine konstante Betreuung und eine relativ unkomplizierte Zusammenarbeit von Elternhaus und Erziehungspersonal. Auf dem Land hingegen kann es auch so aussehen: Da der Pflichtstundenplan die Blockzeiten nicht ausfüllt, wird mit freiwilligen Fächern ergänzt. So weit so gut. Jedes Zusatzfach (Chor, Religion, musikalische Grunderziehung) wird von einer anderen Lehrperson erteilt, wodurch bereits ein Erstklasskind faktisch im Fachlehrersystem unterrichtet wird. Da die Stundentafel damit aber noch nicht voll ist, endet der Unterricht halt an drei Morgen um elf oder beginnt erst um neun Uhr. Macht nichts, die Lücken werden mit der so genannten Betreuung gefüllt: Inhalt und Personal variabel. Dies aber bitte nicht mit dem Mittagstisch und der Nachmittagsbetreuung verwechseln, die bestreitet nämlich ein privater Verein – ausser Mittwochs, da läuft ein Kurswesen, aber nur bis Weihnachten. Die Aufgabenhilfe findet dann wieder durch Lehrpersonal statt, allerdings nur zweimal die Woche abends um vier, nach einer (unbetreuten) Freistunde. Das Ganze erfüllt kaum den Sinn und Zweck der Blockzeiten – denn es wird spätestens dann zum elterlichen Dauerlauf, wenn der Nachwuchs sich als wenig geneigt erweist, allzeit konform, kompatibel und kompetent durch die Schule zu gleiten. Kind ist geplagt worden? Telefon an Betreuungspersonen A, B und C. Kind hat Aufgabenheft vergessen? Recherche bei Lehrpersonen D, E, F und G. Kind hat Jacke verloren? Absuchen der Unterrichts- und Betreuungsräume A bis Z – usw. usw. Ich habe nur einen Spross, und ich kann mir nicht vorstellen, wie das mit mehreren zu schaffen ist.

Dass auf eidgenössischer Ebene versucht wird, das Bildungswesen zu harmonisieren und dem Kantönligeist den Garaus zu machen, begrüsse ich sehr. Als reformerprobte Lehrperson schreckt mich ja bald gar nichts mehr. Als schulgeplagte Mutter hoffe ich derweil, dass die Bildungsdirektion ihre hochgesteckten Legislaturziele nicht im «Gmeindligeist» versickern lässt. Vielleicht könnte man sie mit einem Leistungslohn dazu motivieren?