Spätpubertät

Manchmal beneide ich andere Leute. Was mich besonders beeindruckt, sind Menschen, die ihrem Leben den einen Sinn, das eine Ziel, die eine Richtung zu geben vermögen. Schon als Kind verbrachten sie ihre Freizeit am liebsten mit Meerschweinchen, als Teenager führten sie anderer Leute Hunde spazieren, und jetzt sind sie Tierärztin.

Bei mir ist das anders. Alle paar Jahre muss ich wie unter Zwang wieder etwas Neues machen, irgendein altes Talent wieder ausgraben oder einen seit Jahren gehegten geheimen Wunsch erfüllen, der mit einemmal ganz dringend wird. Wundern Sie sich also über gar nichts, was Sie hier noch lesen werden.

Von der Vermögens- und Altersplanung her gesehen, ist solch sprunghaftes Ins-Leben-hinein-Leben natürlich fatal. Man bringt es so auf keinen grünen Zweig. Das stete und progressive Anhäufen von Pensionskassengeldern wird immer wieder durch Phasen der Ausbildung und Berufseinführung gebremst oder von einem Familienschub gänzlich unterbrochen, das unter erschwerten Bedingungen Ersparte ins neuste Projekt gebuttert. Der Zugang zu anciennitätsbedingten Pfründen und Ämtern ist naturgemäss erschwert. In der anderen Waagschale liegt dafür ein immaterieller Reichtum an Lebenserfahrung und Einsicht in die verschiedensten sozialen Gemeinschaften unserer Gesellschaft. So kann ich kaum das Motto «lieber reich und gesund als arm und krank» vor mir hertragen, dafür bestimmt meine grauen Zellen durch stets neue Herausforderungen vor Alzheimer schützen. (Zu den letzten zwei Sätzen denken Sie sich bitte pionierhafte Marschmusik oder visualisieren die amerikanische Flagge auf dem Mond.)

Aber eben: Was eine wie ich auch anfängt, immer fängt sie wieder irgendwo von vorne an und hat deshalb den permanenten DilettantInnenstatus weg. Das macht eigentlich nicht besonders viel – ausser dass man natürlich überall von BerufskollegInnen umzingelt ist, die trotz teils jüngeren Jahren viel besser drauskommen. Die können es noch verstehen, wenn eine zwanzigjährige Novizin dauernd dumme Fragen stellt. Aber die über vierzigjährige Kollegin steht schnell einmal im Verdacht, nicht besonders helle zu sein, wenn sie sich immer wieder nach Gepflogenheiten und Verfahrensweisen erkundigt. Bei Mitmenschen mit fehlender Beisshemmung kann das zeitweise zu garstigen Attacken führen. Aber auch solchen Mechanismen kann man etwas abgewinnen – nämlich ein untrügliches Auge für gruppendynamische Abläufe. Zwar brauche ich rund ein halbes Jahr, bis ich an einem neuen Ort integriert bin – MobberInnen, Intriganten, DuckmäuserInnen und Herrgöttlein kann ich hingegen oft schon am ersten Tag identifizieren. Ich könnte ein ganzes Buch drüber schreiben! Aber vorerst einmal erobere ich nun diesen Sommer: mit einer neuen Arbeitsstelle im Zürioberland, mit einem neuen Wohnort im Sihltal (mitten im grünen Grün einer Waldlichtung), mit dem neuen Status der Alleinerziehenden und Haustierhalterin, mit Autokauf und Fahrstunden. Das hält mich so jung – ich fühl mich schon fast wieder pubo!