Sparspirale

Wir verstehen uns als zivilisierte Gesellschaft mit höchstem Wohlstand. Nun heisst es, dass wir uns unsere Bildung, unser Gesundheitswesen und unsere Altersvorsorge nicht mehr leisten können. Alles kostet angeblich zu viel und soll profitabel werden. Aber geht das überhaupt?

Wenn wir im Spital liegen, kümmert sich im Moment noch öffentliches Personal um uns und die Krankenkasse bezahlt. Nun müssen die Spitäler plötzlich rentieren und von der öffentlichen Hand abgekoppelt werden – wie etwa in der skandalösen Geschichte der «Providence» mit Hauruck-Privatisierung und fristlosen Massenkündigungen. Ein anderes Mittel zur Kostensenkung sollen die Fallpauschalen sein – obwohl es für deren behaupteten Spareffekt keinen einzigen Beleg gibt, auch nicht aus Ländern, wo Fallpauschalen schon lange praktiziert werden …

Wirkung zeitigen solche Massnahmen trotzdem, wenn auch nicht die beabsichtigte: Nur schon, um die Profitabilität zu messen, muss die personenbezogene Handlung in analysierbare Einheiten aufgespalten werden. Darin sind die Kernelemente menschlichen Austausches meist nicht enthalten: Wie ist Zuspruch zu messen, jemanden ernst nehmen, aufmuntern? Bereits das Messen verändert die Aufgabe, indem messbare Handlungen bevorzugt werden. Das Profitstreben pervertiert die personenbezogene Dienstleistung nachgerade: Nicht was in der Situation notwendig ist, soll getan und bezahlt werden – sondern einzig, was im Zeitbudget vorgegeben ist. Von einer Bekannten weiss ich etwa, dass der Decubitus (das Wundliegen) in den neunziger Jahren aus den Pflegeheimen verschwunden war, weil die PatientInnen genug oft aufgenommen und bewegt werden konnten. Nun ist die Anzahl der erlaubten und bezahlten Umlagerungen begrenzt – und der Decubitus ist wieder da. Sehr häufig ist es aber so, dass das Personal es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, die Patienten in der geforderten Art zu vernachlässigen, und die menschlich notwendigen Leistungen einfach in der Freizeit erbringt. Seine Wut gilt meist auch nicht einmal dem schleichenden oder offenen Lohnabbau – sondern der ethischen und emotionalen Trockenlegung ihrer Berufe und der Entmündigung, die sie erfahren, wenn sie – mit besten fachlichen Kompetenzen und grosser zwischenmenschlicher Empathie ausgestattet – einen schlechten Job machen müssen.

Jede weggesparte personenbezogene Dienstleistung muss von jemandem privat erbracht werden (wenn Verelendung als gesellschaftliche Option wegfallen soll). Da aber immer mehr Menschen hierzulande in diesem unprofitablen Sektor arbeiten, ist das zu teuer – ausser man heuert eine billigere Arbeitskraft an. So wird klar, dass jeder Profit in personenbezogenen Arbeiten in letzter Instanz aus sozialem Gefälle erwirtschaftet wird. Am Ende bleiben irgendwo Alte, Kranke, Kinder, Invalide übrig, deren Angehörigen sich keine Angestellten leisten können und die auch keine Zeit haben, sie selbst zu versorgen. Das Frappante hieran: Es nützt nicht mal etwas, die Löhne zu erhöhen, denn der Profit kommt ja von einer Lohn-Differenz. Am Ende fehlt es nicht einmal an Geld – denn Geld gibt’s im aufgepumpten Finanzsektor genug. In letzter Instanz fehlt – um es mit Mascha Madörin zu sagen – die Zeit, die endliche Ressource schlechthin. Würde die private Care-Arbeit bezahlt oder hätten alle mehr Freizeit zur Verfügung, um sie gratis zu erbringen – dann käme Bewegung in die Sache. Solche Ideen sind aber politisch (noch) nicht salonfähig.