Wenn ich in meinem Heimbüro über den Bildschirmrand hinweg aus dem Fenster schaue, dann sehe ich ringsum den Herbstwald. Davor die grüne Wiese der Waldlichtung, im Osten der NachbarInnen Garten: die Blumen, Gemüse und Früchte einer 18 Jahre währenden Urbarmachung, im Norden unsere Weide, zurzeit schaflos, im Süden ein Wanderweg.
So zu wohnen ist ein Anachronismus. Stetig wartet in meinem Kopf ein böser Gedankenzwerg auf die Desillusionierung. Mit knorrigem Zeigefinger übt er Triumphreden: «Hab ichs nicht gesagt? Du hast es dir zu einfach vorgestellt. Nun sieh mal zu, wie du zartes Stadtei im Mittelalter zurecht kommst!» In einer anderen Ecke meines Bewusstseins sitzt mein Öko-Überich und wiegt tadelnd den schweren Kopf: «Deine Bilanz ist im roten Bereich. Du musst viel weiter pendeln – und Auto fahren, ein absolutes No-Go. Nicht mal einen Schulbus gibts! Da hilft die Holzschnitzelheizung auch nicht mehr viel.» Mein Selbsterhaltungstrieb, durch das Genöle aufgeschreckt, jammert drein: «So fern von den Ballungszentren, wie willst du da Arbeit finden? Noch dazu ohne Kinderhort. Und glaub bloss nicht, dass dich irgendein Schwein dort in der Pampa besuchen kommt!»
Mir im Nacken sitzt – oft unsere kleine Katze und schnurrt. Manchmal jlakdsfjoerqlhqwlheaöwaaa sie quer über die Tastatur, um gebannt auf die Maus zu warten, die da vielleicht aus dem Drucker rauskommt, wenn er so seltsam rauscht.
Ja, das Arbeiten fällt einem tatsächlich schwer hier draussen. So viele Ablenkungen. Man kann zum Beispiel von zwei Bahnhöfen aus nach Hause wandern. Der eine Weg führt mitten durch den Wald, ist wenig lieblich, dafür umso ursprünglicher und augenscheinlich von Pilzfans noch nicht entdeckt worden. Der andere geht zunächst durchs Dorf, kichernde Teenager sitzen vor der Kirche. Dann kommt die Neubausiedlung. Hier gibts einen interessanten Kulturenmix: Heimpantinen tragende Mittfünfzigerinnen mit Schosshund absolvieren die Robidog-Meile schlurfenden Schrittes und in SMS versenkt, während Wandernde mit strammen Waden und Walkingstöcken an ihnen vorbeihasten und laut schreiend ihr eigenes Stockgeklapper zu übertönen versuchen. Dann die Birnbaumallee und die Schrebergärten, der vorletzte Weiler, dann der Wald und unser Zuhause. Wir sind die letzte Bastion.
Wer durstig ist, labt sich an unserem Trinkwasserbrunnen. Wer seinen Hund nicht im Griff hat, merkt an unseren Hühnern, dass er ihn wohl besser anleinen sollte. Wer einen Platten hat, leiht sich unsere Fahrradpumpe aus. Einmal verirrte sich ein Heimbewohner auf dem Ausflug in unsere Stube. Grüezi! Adiö!
Hierhin führt kein ÖV. Wocheneinkauf mit dem Auto, dann die Kühltruhe füllen. Die Müllabfuhr kommt erst seit Kurzem und auf Betreiben der Nachbarin zu uns. Zurzeit ist die Zentralheizung kaputt. Wir schieben meterlange Baumviertel in den Kachelofen, dann ist zwei Tage lang warm. Kanalisation gibts nicht. Wir haben eine eigene Kläranlage. Unser Nachbar öffnet periodisch den Deckel und rührt mit einem langen Holz – Sie wissen schon – um. Sieht nicht toll aus, stinkt aber nur mässig.
Doch zurück zum Thema. Gut, ich gestehe: Es war Stadtflucht. Ich bin ein Opfer der Gentrifizierung. In der Stadt wars mir zu laut und zu teuer, die Luft zu dreckig und der Alltag zu hektisch. Für mich war da einfach kein Platz mehr. Seufz …