Ein ziemlicher Aufruhr um die Verhaftung Roman Polanskis wegen erzwungener sexueller Handlungen mit einem Kind hält die Schweiz in Atem. Was für ein Sittenbild unserer Zeit! Ein überführter Täter und Justizflüchtling wird in Schutz genommen und die Schweizer Justiz als kleinkariert angeprangert.
Exemplarisch für die Verniedlichung des Geschehens ist das Statement des Schweizer Playboy-Fotografen Otto Weisser, der in 20 Minuten so zitiert wird: «Jeder begeht mal einen Fehler in seiner Jugend. Ausserdem weiss man ja, wie gewisse Mädchen vorgehen.» Diese Sorte Fehler ist offenbar immer verzeihlich und soll deshalb gar nicht erst verfolgt werden. Das Konzept der unbedarften Jugend wird arg strapaziert: Während das Opfer damals erst 13 Jahre alt und somit noch ein Kind war, ging der Täter auch mit sehr viel Goodwill mit 44 Jahren nicht mehr als Jugendlicher durch. Doch das scheint alles irrelevant, denn nach der gängigen Schwerenöter-Interpretation hat eben prinzipiell immer das Opfer den Täter sexuell verführt. Das 13-jährige Kind hat sich also freiwillig abfüllen lassen und dann nach einer Betäubungspille verlangt, um ungeschützten Sex mit einem dreimal so alten Herrn zu haben. Also mir kommt das doch sehr unwahrscheinlich vor. Herr Weisser hat aber ganz offensichtlich eine reiche Erfahrung in solch pikanten Situationen. Wir müssen ihm letztendlich dankbar sein für diese Offenlegung der Denkschemata von Männern, die sich an Minderjährigen aufgeilen. Immerhin habe ich jetzt viel konkretere Vorstellungen davon, wie Nacktbilder von blutjungen Frauen «freiwillig» zustande kommen.
Auch wer die Tat verurteilt, kann offenbar trotzdem noch zur Überzeugung kommen, Polanski habe sie «schon genug gesühnt» – wie der Schweizer Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer. Ich bin nicht sehr beschlagen mit dem amerikanischen Strafmass für Kinderschändung. Aber ich stelle mir vor, es dürfte einiges höher liegen, als die sechs Wochen, die Polanski damals in Untersuchungshaft zugebracht hat. Sicher muss es eine hässliche Medienposse gewesen sein, die auch das Opfer letztendlich dazu gebracht hat, lieber nichts mehr von ihrer Anklage wissen zu wollen. Aber ob die Tat damit gesühnt ist? Kann man es als Abbüssen einer Strafe ansehen, dass der Täter sich über Jahrzehnte erfolgreich der Justiz entzogen hat? Dass er in Europa trotz erwiesener Schuld unbehelligt blieb und seine künstlerische Karriere vorwärts treiben konnte? Wäre er irgendein mittelloser Nobody gewesen, hätte er bestimmt einsitzen müssen und damit zahlreiche Chancen und Möglichkeiten im Leben verpasst. Fraglich, ob er es je zu einem Chalet in Gstaad und diversen höchsten Lorbeeren gebracht hätte … Direkt absurd ist die Forderung, die Polizei hätte Polanski nach dem Gebot von Treu und Glauben vorwarnen müssen. So à la: «Geschätzter Mafioso! Nächsten Dienstag werden wir Sie verhaften. Bitte seien Sie um 14 Uhr zu Hause und halten Sie Ihre Papiere bereit.»
Der fehlbare, weil mediengeile Richter von damals ist ja nun tot. Die Chancen auf einen fairen Prozess unter den Argusaugen der Öffentlichkeit sind also intakt. Sollte dabei ans Licht kommen, dass die Sache bereits verjährt oder gesühnt ist, tant mieux. Wenn nicht, dann ist es jetzt höchste Zeit, den Spuk endlich zu beenden.