Äs Bébé

Wenn Sie demnächst eine Reise tun, sollten Sie sich beizeiten auf den Weg machen. Wenn die Zeit zum Umsteigen knapp ist, nimmt man besser gleich den früheren Zug. Wer nämlich atemlos aufs Perron gerannt kommt und dort nur eine lange Reihe Erstklasswagen antrifft, sollte sofort resignieren, über die eigenen Füsse stolpern und der Länge nach auf den Asphalt klatschen. Schliesslich sitzen hinter den Scheiben in den ersten Waggons ErstklassfahrerInnen. Und die haben sich mit viel Geld Privilegien gekauft. Da ist es nur recht und billig, wenn man ihrer Schadenfreude ein gefundenes Fressen vorwirft. Das ist eh immer noch besser, als gleich in den Zug zu steigen und beim Durchqueren der ersten Klasse von den ErstklassbilletbesitzerInnen in ihrem heiligen Zorn gelyncht zu werden. Oder von den SBB wegen Klassenfrevels zum Tode verurteilt zu werden. Erstklassfahrende sind nun mal die schützenswertere Spezies auf unserem Planeten, denn sie haben nicht nur mehr Geld, sie haben auch Klassenbewusstsein und setzen die richtigen Standards. Nie, nie, nie würden sie sich in eine Schlange stellen, nur um früher aussteigen zu können. Wer den Anschluss verpasst, nimmt eben ein Taxi. Und wer geht denn einfach schamlos an sitzenden Menschen vorbei? – Pfui aber auch! Wir andern sind dagegen wirklich nur Proleten. Zweitklassmenschen, die die Verkehrswege verstopfen, ohne Gewinn abzuwerfen. Nicht mal Kosten deckend sind wir. Wir sollten aufs Bahnfahren verzichten, dann sinkt dort das Defizit, und stattdessen das Auto nehmen, damit unsere Wirtschaft mit neuem Aufschwung belebt wird.

Ein wenig hat aber die SBB den Schlamassel mitverursacht. Sie hat uns Unterhunden so schöne Zweitklasswagen geschenkt, dass man den Unterschied zur ersten Klasse kaum sieht. Klimaanlage, weiche Polster, schickes Klo – alles dabei. Das steigert einerseits die Verwechslungsrate und andererseits den Frust bei den Mehrbesseren. So sind sie einfach zu wenig abgehoben. Wir sollten am besten wieder die dritte Klasse mit wenigen Holzbänken und vielen Stehplätzen einführen. Dann wären die Verhältnisse klar, alle hätten Platz im Zug, und wir ZweitklassfahrerInnen hätten auch etwas zu lachen!

Bis es so weit ist, können wir schon mal die drei neuen Piktogramme der SBB studieren. Es sind blaue Gebotstafeln, mit rotem Strich durchkreuzt und mit Erläuterungen versehen. Offenbar ist hier gerade etwas verboten worden, was früher noch erlaubt war – mit dem Hammer aufs Polster schlagen, den Fuss stehend auf den Sitz abstellen und Töne machen. Dazu bellt je ein Imperativ: Stopp! Weg! Ruhe! Das ist zwar nicht besonders freundlich ausgedrückt, aber doch von überzeugender Klarheit. Dies ganz im Gegensatz zum restlichen Text. Wir Eltern und Erzieherinnen hättens einfach so sec wie möglich gesagt, zum Beispiel: Nichts beschädigen. Füsse auf den Boden. Keine Musik, bitte. Hier aber steht: Mobiliar ist kein Sperrholz. Polster sind keine Fussmatten. Passagiere wollen kein Konzert. Ich nehme an, die SBB wollten uns gelangweilten PendlerInnen eine Alternative zu den Gratiszeitungen bieten und haben sich deshalb extra gewundene Sprüche ausgedacht, die uns während der ganzen Fahrt von Zürich nach Rapperswil zu denken geben.

Sie wollten ausserdem zur Volksbildung beitragen. Pendelnde MigrantInnen werden den Notizblock zücken, um zu Hause diese verheissungsvollen Wörter nachzuschlagen: Mobiliar, Sperrholz, Polster – Mutabor, Excalibur … In der Schule werden Projektwochen abgehalten zum Thema: «Vom Mobiliar zum Sperrholz», in der Handarbeit werden Beschaffenheit und Zweckbestimmung von verschiedenen textilen Oberflächen behandelt (z.B. Polster und Fussmatten), und Primarschulklassen üben ihre erste Umfrage: «Wollen Passagiere Konzerte – ja oder nein?». Danke, liebe SBB für diese wertvollen Impulse!