Pfui, Gurke!

An sich will ich dazu ja gar nichts sagen. Wieder mal lässt sich das Land im Sommerloch von einem kühl kalkulierten Aufreger der Klatschpresse zum gemeinschaftlichen Aufblöken anstacheln: Der alte Schauspieler und seine allzu junge Frau. Ein Grüsel! Eine Erbschleicherin! Eine «moralische Scheinehe»! (Lieber Martin Graf – wie vereinbaren Sie eigentlich Ihre Parteizugehörigkeit mit derartig engstirnigen Auslegungen des Eherechts? Ich dachte, Sie seien sozial fortschrittlich eingestellt!)

Nun gut, vielleicht brauche ich selber Nachhilfe: Was, bitte, sollte ein 90-Jähriger tun, der eine junge Frau kennt, die ihn von Herzen gern hat, ihm Gesellschaft leistet, ihm die weite Welt zeigt, sich um ihn kümmert? Soll er denken: «Zur Gründung einer Familie bin ich zu alt, mit der Erfüllung ehelicher Pflichten hätte ich so meine Mühe, und die junge Dame hat auch ein eigenes Leben – also darf ich nicht mehr heiraten»? Oder wenn es etwa so wäre: Der greise Fernseh-Star hat offenbar keine Kinder. Vielleicht war das ja ein Schatten auf seinem Lebensglück, und nun ist da diese Liebe gewachsen zu seiner Grossnichte – ob platonisch, väterlich oder anderswie: Geht’s uns was an? Die einzige Möglichkeit, sie in den Stand einer nächsten Verwandten zu erheben (einem eigenen Kinde ebenbürtig), ist eben die Heirat. Dann darf sie ihn auch im Spital besuchen und seine Geschicke nach seinem Willen lenken (den sie ja sicher am besten kennt), wenn er seines Lebens nicht mehr Meister ist.

Auch die Steuergeschichte sehe ich nicht so eindimensional. Es gehe dem reichen Manne nur darum, die 30% Erbschaftssteuer zu umgehen, denn seine Grossnichte hätte den Rest ja sowieso geerbt, wird moniert. Hm. Aber die hat ja auch noch lebende Eltern – und diese sind mit ihm näher verwandt als sie selber. Falls es bei dieser Heirat auch ums Geld ging, so sieht es für mich eher danach aus, dass er die junge Liebe gegenüber ihren Eltern (die ihm vielleicht weniger nahe stehen) bei der Erbschaft begünstigen wollte. Also, ich nehme an, sie erbt nun den Pflichtteil, und der Rest wird auf die übrigen Verwandten verteilt, während es ohne Heirat gerade andersrum gewesen wäre. Wollen wir es wirklich verurteilen, dass einer selber weiss, wem er den Grossteil seines Geldes lieber überlassen möchte? Aber bitte: Das empörte Volk soll sich doch für höhere Erbschaftssteuern starkmachen, wen es seinen Zeigefinger so brutal juckt, dass der Fiskus nun nicht bei «Buchhalter Nötzlis» Millionen miterben wird…

Wer in dieser Sache tatsächlich Erbschleicherei begeht, ist in meinen Augen die Regenbogenpresse selber. Walter Roderer war immer ein Liebling der leichten Medien. Er war zugänglich und hat mit steter Präsenz die Klatschblätter genährt. Diese haben es ihm mit der jüngsten Enthüllung schlecht gedankt. Wer eine Privatsache mehrere Jahre lang privat hält, hat gute Gründe dafür – vor allem den einen, dass die Öffentlichkeit kein Verständnis hat. Das ist der Klatschpresse aber schnuppe. Da sie sowieso nichts erben wird, will sie halt jetzt nochmals mitverdienen – denn: Wer weiss, wie lange diese Kuh noch gemolken werden kann … Nun, eigentlich wollte ich diese saure Gurke nicht noch mit Aufmerksamkeit düngen. Aber ich finde, der «Blick» hat sich ein indigniertes «Pfui!» reichlich verdient.