Bööggin

Ich war wieder einmal am «Sächsilüüte». Der Hunger eines Kindes nach Süssigkeiten hat mich da hingelotst, und auch sein Wunsch, dabeizusein. Denn: Wer möchte nicht dabeisein? Ganz egal wobei, wenn es nur schön aussieht, in der Öffentlichkeit stattfindet, von allen bejubelt wird – und Süssigkeiten absetzt. Am Kinderumzug ging die Rechnung auf: Wir winkten den kleinen FreundInnen zu, lernten etwas über historische Kostüme, hörten Blasmusik, und am Ende waren die Hosensäcke vom Schleckzeug ausgebeult.

Am nächsten Tag: Der «erwachsene» Umzug. Gut, das Winteraustreiben an sich ist ja ein lustiger Brauch. Ein riesiges Feuer, ein Schneemann mit Knallkopf, wilde Reiter (und hoffentlich immer mehr Reiterinnen), scheppernde Live-Musik – das reisst die Massen mit. Und wenn dann noch das Publikum mit Fisch, trockenen Semmeln und rohen Würsten beworfen wird, ist das Volksfest perfekt. Aber der Rest … Auf die Gefahr, mich der Miesmacherei bezichtigen zu lassen: Worum geht’s hier eigentlich? Saturierte Herren in Verkleidung paradieren mit geschwollener Brust durch die Stadt. Abwechselnd springen Jünglinge mit Zinnkannen um sie herum, um ihnen Wein einzuschenken (Momoll – Trinken beim Gehen, ohne zu verschütten: Hohe Schule!) und stöckeln aufgekratzte Damen auf sie zu, um sie mit Blumen zu beschenken.

Blumen, Blumen, tonnenweise Blumen. (Hat denen noch niemand erzählt, dass Schnittblumen vor allem Energie- und Landverschleiss bedeuten? Anbauen, herumfahren, kühlen – und schon bald auf den Müll damit …) Jedenfalls ist es nicht so gemeint, dass von der üppigen Fülle Nennenswertes auf die Zuschauenden abfällt, und so hat die Menge denn auch nicht viel zu jubeln. Man sitzt gesittet auf dem reservierten und bezahlten Turnhallen-Bänklein. Auf den Stehplätzen würdigen ältere Damen säuerlich die spärlich gestreuten Bhaltis; hechten Väter für ihren Nachwuchs den wenigen fliegenden Bonbons nach; schlagen Kinder sich die Knie auf dem Asphalt wund und neiden einander das Schleckzeug, registrieren Mütter stolz, dass ihr hübsches Kleinkind als einziges weit und breit ein Sträusslein geschenkt bekommt. Mein Eindruck: Hauptsächlich, wer jemanden aus dem Umzug kennt, hat wirklich Spass; die anderen geben sich Mühe, Zünfte zu erkennen und Bouquets zu würdigen. Summa summarum: Das Establishment feiert sich selbst vor der Volkskulisse.

Dazu passt, dass noch lange nicht jeder – und vor allem: jede – einfach mitmachen darf. In patriarchaler Linie wird die Zugehörigkeit zu den Zünften vererbt oder an Günstlinge verliehen. Als unerhörtes Ereignis dieses Jahr gilt die Teilnahme einer Frauenzunft. Frauenzunft – analog zur Männerzunft? Ich weiss nicht, ob das ein Schritt in die richtige Richtung ist. Dabeisein ist hier sicher die Maxime – und solange die Mehrheit der Frauen glaubt, heute gebe es politisch nichts mehr zu erstreiten, muss es wohl als Teilerfolg gewertet werden, dass wenigstens diese paar Frauen am Umzug mitlaufen dürfen. Gleichberechtigung sieht jedoch anders aus. Wie wärs mit einem alternierend durchgeführten Umzug der Frauen? An wichtigen und historischen Charakteren mangelt es jedenfalls nicht. Ich denke da an Suffragetten, Krankenschwestern, Bundesrätinnen, Hexen, Polizistinnen, Nutten, Mütter, Sirenen, Philosophinnen, Ärztinnen usw. Eine «Bööggin» böte zudem zusätzlichen Stauraum für Knallkörper …