Krankes System

Spitäler und Pflege-Einrichtungen finden nicht mehr genügend Personal. Gegen eine Rekrutierung in Billiglohnländern spricht nicht nur der Widerstand von dort gegen den Braindrain, sondern auch jede sozialpolitische Vernunft. Denn die Ursachen liegen hier und müssen hier behoben werden.

Vernachlässigte Ausbildung. Nicht zufällig steigen zuwenig Jugendliche in Gesundheitsberufe ein. Es handelt sich um einen klassischen Frauenberuf, und deren Ansehen ist leider in unserer Gesellschaft niedrig. Mädchen, die traditionelle Berufe wählen, müssen sich vorwerfen lassen, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein. Wenig bis gar nichts wird hingegen unternommen, um die Attraktivität solcher Berufe zu erhöhen – und mit blosser rhetorischer Kosmetik ist es natürlich nicht getan. Politische Lobbys aus dem technisch-industriellen Segment nehmen auf die Stundentafeln der Schule Einfluss, damit verstärkt naturwissenschaftlich-technische Begabungen gefördert werden, und werben gezielt die fleissigen und arbeitsamen Mädchen an. So kommt das soziale Spektrum zu kurz. Zwar ist zu begrüssen, dass die Mädchen ebenso freie Wahl haben wie die Knaben. Letztere sind aber bis jetzt nicht in die Bresche gesprungen – denn auch sie haben die Botschaft richtig verstanden: Hier reisst man sich für wenig Geld und null gesellschaftliche Anerkennung den Arsch auf.

Gesellschaft ohne reproduktive Ressourcen. Bis in die Siebziger-Jahre lautete der kapitalistische Gesellschaftsvertrag, dass die Lohnabhängigen nicht nur Geld für sich selber erhalten, sondern dass genügend Ressourcen bereitgestellt werden, die es ermöglichen, die Arbeitskraft beständig zu erneuern. Darunter fällt z.B. ein Einkommen, das auch die Ehefrau und Kinder ernährt, die Bildung des Nachwuchses, das Gesundheit- und Sozialwesen usw. Dies bedingt, dass entweder privat jemand freigestellt ist (bisher in der Regel eine Frau), um soziale und pflegerische Aufgaben zu übernehmen (Kinder aufziehen, alte und kranke Familienangehörige betreuen, Nachbarschaftshilfe) oder dass öffentliche Institutionen diese Funktionen ausreichend übernehmen. Und hier nagt seit Beginn der neoliberalen Doktrin unerbittlich der Sparzahn: Die Löhne sind gemessen an den Lebenshaltungskosten so tief, dass eine Hunderprozentstelle nicht mehr reicht. Zwar bürden sich viele Frauen die Doppel- bis Dreifachbelastung mit Lohnarbeit, Familienarbeit und gemeinnütziger Arbeit auf. Trotzdem fallen mehr Care-Aufgaben für die öffentliche Hand an. Gleichzeitig sind die Staatseinnahmen auf einem historischen Tief, denn in den vergangenen zwanzig Jahren wurden die steuerliche Belastungen für Reiche massiv gekürzt. So kann das Sozialwesen nicht mehr aufrecht erhalten werden.

Ideologische Unaufrichtigkeit. Der Versuch, menschenbezogene Dienstleistungen einer gewinnstrebigen Profitlogik zu unterwerfen, ist in voraussehbarer Weise grandios gescheitert. Solche Dienste können nun einmal nicht rationeller, schneller oder profitabler erbracht werden. An besserer Bezahlung und erhöhten Personalbeständen führt daher kein Weg vorbei.

Am besten wissen das die Deregulierer selber: Wer auf der Gewinnseite wirtschaftet (vielleicht sogar mit überteuerten Medikamenten?), leistet sich ein Privatspital. Freiwillig liefert sich niemand ausgelaugtem Personal aus…