Krankschrumpfung

Im August las ich im K-Tipp: Eine Frau, die halbseitig gelähmt, sehbehindert und herzkrank ist, erhält laut Bundesgerichtsurteil keine IV-Rente, obwohl sie komplett arbeitsunfähig ist. Unsereine (versiche­rungstechnische Laiin mit intaktem Glauben an das Soziale im Menschen) fragt sich: Wie kann das gehen? Nun, ein erster Schritt in Richtung sozialer Abstieg ist es ja, «nur» Hausfrau zu sein. Und so war es – wenig verwunderlich angesichts der beschriebenen Gesundheitslage – auch bei der Betroffenen.

Einschub: Das erinnert mich an eine prägende Anekdote aus meiner Jugendzeit. Französischunterricht, wir besprechen die Lektüre. Der Französisch-Lehrer im breitesten Frangssä Fedärall: «Alor, äh, ggessgö vusave lü?» Schulkameradin von mir (wir sind im letzten Semester, es gilt die Maturnote noch etwas zu boosten): «La femme est à la maison, elle ne fait rien.» Er: «Wui, wuala, ssessa.» Ich, zu ihr: «Non, mais, c’est idiot de dire qu’elle ne fait rien, seulement parce-qu’elle est ménagère…» Er, betupft: «Bong, si vu mö töne pur öhnidio…» Im folgenden, maturrelevanten Zeugnis hatte ich eine deutlich abgerundete, schlechtere Note als je zuvor. Ich stellte darauf den Lehrer zur Rede und schwartete ihm um die Ohren, dass sein Unterricht sterbenslangweilig und mein Französisch vor der Bekanntschaft mit ihm besser gewesen sei als danach. Immerhin so viel Genugtuung musste sein. Seither bin ich aber erst recht überzeugt, dass Geschlechter­diskriminierung tatsächlich, und oft eben sehr subtil, stattfindet.

So werden auch Frauen, die «nur» Hausfrauen sind, bei der IV doppelt und dreifach diskriminiert. Da sie keinen Lohn erhalten (warum eigentlich nicht? Jeder, der im Militär ein bisschen sinnlos herumhockt oder -secklet, kriegt Erwerbsersatz. Gopfridstutz!) wird bei ihnen auch kein Lohnausfall berentet. Pensionskassenrente gibt’s dann natürlich auch nicht. Für eine IV-Rente im häuslichen Bereich kommen dann noch verschiedene Spezialregelungen zum Zug. Erstens gibt’s ja grundsätzlich erst ab 40% Invalidität eine Viertelrente (logisch, oder?). Und anders als bei der Berufsunfähigkeit, wo immerhin Ärzte urteilen, wird im häuslichen Bereich auf IV-AbklärerInnen abgestützt (selbstverständlich völlig unparteiisch, im Gegensatz zu den ÄrztInnen, die immer die PatientInnen in Schutz nehmen.) Bei dieser wirklich bedauernswert kranken Frau wurde befunden, dass sie im häuslichen Bereich nur 36% Invalid sei, weil ihr pensionierter Gatte und die beiden berufstätigen Söhne, die im gleichen Haushalt leben, mehr als 50% der Hausarbeit übernehmen könnten. Nachdem die Söhne das Geld heimbringen und der Papa ja wahrscheinlich mit der sehbehinderten herzkranken halbseitig Gelähmten tagsüber schon ohne Haushalt genug beschäftigt ist, kann das lustige Trio am Feierabend noch schnell waschen, putzen, einkaufen, kochen usw. – Wer braucht auch Zeit für Sport und Erholung? – und ein paar Jahre später ein Burnout erleiden. Die IV schiebt sie dann als psychosomatische Simulanten auf die lange Bank oder schubst sie gleich aus dem System. In diese Logik passt, dass bei der IV-Revision 2007 auch die Renten für Betreuende weggefallen sind. Dass es sich im vorliegenden Urteil für einmal um Männer handelt, bei denen Gratisarbeit als Liebesdienst an der Nächsten selbstverständlich vorausgesetzt wird, macht vielleicht noch deutlicher, wie dreist die Sozialwerke auf dem Buckel der Schwächsten, und insbesondere der Frauen, krankgeschrumpft werden.