Liebe Michèle Roten!

An Ihnen ist zurzeit kein Vorbeikommen: Sie bevölkern die Medien vom «Blick am Abend» über die «WOZ» bis zur «NZZ am Sonntag». Das Ereignis: Nach Ihrem Buch übers Frausein nun ein Buch übers Muttersein; nach einem Preis für Emanzipation nun Ihr Bekenntnis zum Feminismus. Als gestandene Emanze zögere ich: Soll ich Jubeln über Ihre Wandlung von der Saula zur Paula? Freu ich mich blöd über jedes Neumitglied in unserem darbenden Verein? Oder setze ich mich dem Vorwurf der Stutenbissigkeit aus und bringe meine Zweifel an? Wohlan!

Schon der Somazzi-Preis für Emanzipation (2012) hat mich stutzig gemacht. Mir sind Ihre «beeindruckenden Leistungen in der Frauenförderung» über all die Jahre glatt entgangen. Aber vielleicht haben Sie ja inkognito für die Emanzipation gearbeitet – wie so viele Frauen, die sich still und hartnäckig als Gleichstellungsbeauftragte, als Ökonominnen, aber auch in Gewerkschaften, Parteien, Frauen- und Mädchenhäusern für eine geschlechtergerechtere Welt ein- und dem Gegenwind des Mainstreams aussetzen. Doch halt: Damals schimpften Sie sich ja noch gar nicht Feministin. Vielleicht kamen Sie in die Kränze, weil sich (ganz im Sinne Kants) Ihr Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit abzeichnete, als die man vielleicht die Koketterie mit dem männlichen Leser oder das Bedienen eines übersexualisierten Zeitgeists identifizieren könnte, durch die Sie medial gross geworden sind.

Jetzt aber endlich: Feministin. Erfreulich Ihre Forderung, dass Männer mehr Familienpflichten übernehmen sollten. Dank Ihrer Prominenz (und nicht weil es eine neue Idee wäre) wird das wieder einmal abgedruckt. Wenn der Interviewer aber Genderthemen langweilig findet, entbinden Sie ihn zugunsten von Smalltalk grosszügig davon (9.9., Züritipp Online). Na, ja. Und weiter? Ihr Konzept des Gutgenugismus! Mit Verlaub: Jeder Erziehungs-, Familien- oder Paar-Ratgeber führt mittlerweile den Tipp, Frauen sollten mit der Putzerei mal halblang machen. Die ganze Menschheit strebt zwar nach Exzellenz: Im Sport wie in der Technik, in der Kunst wie in der Gastronomie. Die ganze Gesellschaft fordert wettbewerbstauglichen Nachwuchs. Aber Mütter sollen es nur gerade gut genug machen. Warum eigentlich? Für wen oder was sollten sie die Energie von der gesellschaftlich eminent wichtigen Sorgearbeit abziehen? Dies aus feministischer Sicht zu analysieren birgt politischen Sprengstoff. Einfacher ist es, wie Sie in der jüngsten NZZ am Sonntag, «überengagierte» Mütter zu belächeln. Zwar habe ich noch keine solche angetroffen und halte den Typus für ein marginales Phänomen, wenn nicht gar für ein mediales Phantom. Dagegen kenne ich mehrere Mütter mit handfesten Burnouts, die zwischen den eisernen Sachzwängen der Familie, der Schulen ihrer Kinder und der Erwerbsarbeit aufgerieben wurden. Das kollektive Schicksal der überfrachteten Mutterrolle als freiwillige Überforderung abzutun, scheint mir politisch wenig luzide. Den aus der Komfort- und Lifestyle-Zone heraus abgesonderten Ratschlag, es einfach lockerer anzugehen, finde ich nicht nur zynisch, sondern auch höchst unsolidarisch. Zudem: Gibt es eine ältere Misogynie als das Mütterbashing?

Trotz allem: Willkommen am frei baumelnden Busen der Feministinnen! Wir freuen uns auf politisch gehaltvolle, solidarische und mutige Beiträge von Ihnen.