Normterror

Vielleicht muss ich wirklich schon jetzt auf die Propaganda antworten, die von unseren Rechtsnationalisten im Hinblick auf die Abstimmung vom 28. November über das Land gegossen wird. Das letzte Abstimmungsresultat und vor allem die ultratiefe Stimmbeteiligung dabei geben mir allerdings eine ungute Vorahnung … Kann es sein, dass eine extremistische Gruppe einfach die politische Agenda diktiert und Fakten schafft, nur weil eine grosse Mehrheit zu desinteressiert ist, um ihre Stimme abzugeben?

Als ich noch in der Schule war, lernten wir im Staatsbürgerlichen Unterricht bereits Folgendes: Abstimmen gehen tendenziell eher Habende und Befehlende. Also die, die Geld haben, Firmen besitzen, Chef sind, hohe politische Ämter innehaben. Von einem Ausflug ins Studium der Politikwissenschaften weiss ich zweitens: Dieses «Volk» stimmt so, wie der Bundesrat es propagiert – und der ist ja bekanntlich rechtsbürgerlich. Ein Trost ist immerhin, dass die Sozialabbauer es nicht geschafft haben, irgendwelche schlafenden Reserven zu mobilisieren oder zu ihren Gunsten neue Mehrheiten zu bilden. Es hat wohl einfach der oben umrissene harte Kern derer, die sowieso das Sagen haben, abgestimmt. Und wenn es nächstes Mal auch so wäre, so käme dies einfach einem weiteren Normalfall gleich, der uns nicht weiter kümmern sollte, wenn nicht …

… wenn nicht auch noch der Bundesrat selber, der die Rechtskonformität von Abstimmungs­vorlagen garantieren sollte, in die Bresche der Fremdenfeindlichkeit haute und in seinem Gegenvorschlag etliche rechtsstaatliche und völkerrechtliche Prinzipien bis zur Unkenntlichkeit biegen würde. Man kann kaum von einer Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person sprechen, wenn Delinquierende danach unterschieden werden, ob sie mit oder ohne Schweizer Pass seit Jahren hier leben (oder gar hier geboren wurden). Ein Rückfall in feudale Zustände mit vererbten Pfründen und Rechten!

… wenn nicht die «Norm» an sich langsam zum Problem würde. Seit jeher durfte am Selbstbild senkrechter SchweizerInnen gezweifelt werden, die sich für erheblich rechtschaffener hielten als alle andern. Etwas allzu positive Selbstillusion und Überheblichkeit ist ja nur menschlich. Schlimm wird es jetzt, wenn die Volksseele offiziell das Recht erhält, Fehler und Vergehen mit verschiedenen Ellen zu messen, und zwar so, dass es die «anderen» schmerzt. Eine Volksgruppe, die qua Geburt (oder Blut?) immer Recht hat – läuten da nur bei mir die Alarmglocken? In diesen Zusammanhang gehört auch der unsägliche Integrationsartikel, der in den Gegenvorschlag noch hineingekleistert wurde. Soll das etwa heissen: «Wenn die Ausländer sich nur mehr Mühe gäben, etwas schweizerischer zu sein, dann würden sie weniger oft kriminell werden?»

Nach der Bankenkrise konnte man wenigstens hoffen, die Menschen würden sich erheben gegen den Druck von oben, immer mehr zu leisten für immer weniger Lebensqualität und soziale Sicherheit. Nun scheint klar, dass hierzulande kein Solidaritätsgedanke vor einfältigem und gefährlichem Feindbilderdenken schützt: Den eigenen Status Quo zu wahren, dafür scheint bald jedes Mittel recht. Wenn das normal ist, möchte ich lieber spinnen, äh stimmen: 2x Nein!