Tata-Bubu

Im Jemen beantragt zum ersten Mal ein Mädchen die Scheidung, weil es in der erzwungenen Ehe geschlagen und ausgebeutet wurde. Ehe ist zwar erst ab 15 Jahren erlaubt, aber niemand straft jene, die über 50% der erst 7- bis 9-Jährigen zur Heirat mit erwachsenen Männern zwingen. Und niemand aus der Familie hilft einem vergewaltigten Ehe-Mädchen. Ein nahezu wasserdichtes Tabu schützt die Täter und die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Das Kind Nojoud Muhammed Nasser bricht in einem echt emanzipatorischen Akt wohl zum ersten Mal dieses Tabu.

So ein Tabubruch ist Rebellion. «Wieviel Tabu braucht die Kunst?» fragt in Zürich das Theater am Neumarkt, und hier tönt es ein Bisschen nach Tabu-Bewirtschaftung, so à la: Wenn es bei uns wieder etwas mehr Tabus gäbe, könnten wir sie vielleicht fruchtbarer brechen. Wir sprächen dann natürlich nicht mehr von Tabus, denn internalisierte, unbewusste gesellschaftliche Normen kann man sich nicht selbst verschreiben. Darin unterscheidet sich das Tabu von der expliziten gesellschaftlichen Norm, über die ein Diskurs geführt wird. Der Tabubruch hat damit auch etwas Einmaliges, Irreversibles an sich.

Immerhin: Dass Maggie Tapert nun im Rahmen des Neumarkt-Programms ein Sex-Casting durchführt, passt schon. Sie stellt damit einige Normen im Geschlechterverhältnis auf den Kopf. In Umkehr der Stereotypen stellt eine Frau männliche Lustobjekte für ein weibliches Publikum zur Schau, urteilen Frauen taxierenden Blickes über Top oder Flop unter den Männern, und es wird explizit das Stehvermögen thematisiert – jene Grösse, die viele Männer unhinterfragt zum Mass aller Männlichkeit erheben, wobei eine Objektivierung der Selbsteinschätzung gemeinhin absolut unerwünscht ist.

Einige Tabus haben nach wie vor ihre Gültigkeit. Wir sehen Vorteile darin, in der Öffentlichkeit unsere Genitalien zu verbergen oder intime Gespräche im Privaten abzuhalten. Nun gut, einige sehen das anders. Das Genre der Muschi-Ficki-Kaka-Literatur aus junger Frauenhand hat gerade Aufwind, zumindest bei Männern. «Die Leichtigkeit, mit der Michèle Roten Tabus bricht, verunsichert Frauen. Sie finden sie blöd, weil sie überfordert sind», heisst es dann etwa von Verlegerseite. Das ist doch sehr aufschlussreich. Wenn Michèle Roten andere Frauen «frigide Hühner» nennt, lachen also vor allem die Männer. Wie überaus neu! Und die Redaktion sieht ihre Leserinnen offenbar als Batterie von Doofmammsells, die jedes Mal peinlich berührt erröten und reflexartig die Beine zusammenklemmen, wenn jemand «Futz» schreibt. Tatsächlich ist das etwa ähnlich revolutionär, wie wenn ein Erwachsener sich bei Tische rühmt, dass er sich selber den Popo wischen kann.

Also gut, ich gestehe: Ich bin wirklich langsam überfordert damit, auf all die infantilen Pseudo-Tabubrüche noch mit der gewünschten Empörung und Indigniertheit zu reagieren. Lieber spare ich mir die Emotionen für die Bewunderung echter Tabubrecherinnen und ihrer Risikobereitschaft.